Share it fairly but don’t take a slice of my pie
Vor 35 Jahren besuchte ich mein erstes Pink Floyd Konzert. 56DM (inkl. VVK-Gebühr und Versand) kostete das Ticket damals, inflationsbereinigt sind das heutzutage gut 63€. Seither war ich auf 42 weiteren Pink Floyd Konzerten oder Konzerten von Pink Floyd Mitgliedern, flog dafür in die USA, nach London, nach Pompeji, reiste quer durch Deutschland bis in die Niederlande. Verrückt nennen sowas viele, Hobby ich und einige andere. Natürlich entstanden auch immer Kosten rund um die Konzertreisen, dafür leiste ich mir keine anderen kostspieligen Hobbys. Dazwischen besuchten wir auch sehr viele Konzerte von Kraftwerk, Lou Reed, Neil Young, The Who und diversen anderen Künstlern. Für Konzerttickets habe ich schon eine Menge Geld ausgegeben.
Gerade gingen die Tickets für die 2024er Tour von David Gilmour in den Verkauf. Zum ersten Mal verzichte ich auf eine Teilnahme. Für meinen Geschmack hat es Gilmour mit dieser Tour übertrieben. 740€ ruft er für die Tickets in den ersten Reihen auf. Die Tour ist für ihn selbst maximal optimiert, die Fans werden gemolken bis zum Gehtnichtmehr. Das merkt man schon, dass auf der Homepage gleich nach der Ankündigung des Albums zahlreiche Varianten im Bundle mit T-Shirt und Tasche angeboten werden. Eine Ultimate Edition mit unbekanntem Inhalt ist angekündigt. Vorher soll man aber schon mal die normalen Ausgaben im eigenen Shop kaufen um einen Presale-Code für die Konzerttickets zu erhalten. Natürlich separat sowohl in UK, als auch IT und den USA.
Vinylsammler trifft es ganz hart: Unterschiedliche Handelsketten werden mit unterschiedlichen Vinylfarben beliefert. Manch dösiger Hardcore-Fan kauft das Album ungehört so 10-15 Mal.
Egal, sofort drehen die Fans am Rad. Man ist dankbar, und froh, „dass sich der Meister überhaupt nochmal die Mühe macht, uns ein neues Album zu gewähren.“
You know, I think I need a Lear jet
Neben dem Album steht auch eine kurze Tour an, deren Termine werden nach der Salamitaktik bekannt gegeben. „Lasst die Fans erstmal Tickets für London kaufen, bevor wir andere Termine bekannt geben.“
Für mich ein Schlag ins Gesicht der Fans. Statt Geben ist mal wieder Nehmen angesagt. David Gilmour hat viele Jahrzehnte sehr gut davon gelebt, dass Pink Floyd Fans mehrfach das Dark Side of the Moon Album kaufen, zu seinen Solokonzerten kamen und seine Soloalben kauften.
Das erste Anzeichen, dass es nur noch ums Geld und keinesfalls um eine „connection to the fans“ geht, war die Sonderausgabe von Dark Side of The Moon zu dessen 50jährgen Bestehen. Lieblos, überteuert und ohne Mehrwert für die Fans zusammengeschustert. Braucht so kein Mensch, aber genügend unverbesserliche Fans kaufen es trotzdem. Erste Chance verpasst etwas zurückzugeben, was man ggf. noch in den Archiven verstauben lässt.
Statt seinen treuen Fans das zu geben, worauf sie warten (Konzerte), hat er das notwendige Übel zu seinen Gunsten optimiert: Groß reisen braucht er nicht, die Fans zahlen ja gerne auch eine weite Anreise. Sechs Konzerte in Circus Maximus in Rom, sechs in der Royal Albert Hall in London, je zwei in Hollywood und New York, das muss reichen.
Rund 8.500 bis 10.000 Zuschauer fassen die Spielstätten in Europa. Gut 100.000 Tickets stehen zum Verkauf. Über den Daumen gepeilt dürfte er jedes Konzert an den lokalen Veranstalter für ca. 1 Millionen Euro verkauft haben. Die Ticketpreise bestimmt dann der Veranstalter. Das Resultat ist ein Ticketpreis von über 100 Euro in den letzten Reihen in Rom, bei denen einen rund 9.000 Menschen von der Band trennen. Will man in die ersten Reihen, zahlt man im Diamond-VIP Package 740 Euro! Geht’s noch? Das bei einem Gitarristen, der sich für „links“ hält und sich 1994 angeblich dafür „geschämt hat, 20 Millionen DM Sponsorengelder von VW für die Division Bell Tour kassiert“ zu haben.
I’m in the high-fidelity first class travelling set
Spielen wir das Spiel Konzertbesuch in Rom einmal realistisch durch. Was würde mich ein solcher Konzertbesuch kosten:
- Ticket 200 €
- Billigflug D => ROM hin und zurück 250 €
- Hotel & Verpflegung 350 €
- Nebenkosten wie Parken, ÖPNV etc. 100 €
Summe: 900 €
Für London sieht es ähnlich aus. Realistisch ist man einen knappen Tausender los. Leisten könnte ich mir das, aber will ich das auch? Nein will ich nicht, und der Rest des SRT-Teams übrigens auch nicht, obwohl wir solche Aktionen schon durchgezogen haben, aber da waren die Rahmenbedingungen anders, es gab auch normale Konzerte in der Nähe zu vernünftigen Preisen. In keinem Fall ist es ein finanzielles Problem – wir alle geben genug Geld für anderen Blödsinn aus. Es ist eine Frage des Prinzips.
Aber da sind wir irgendwie in der Minderheit der Fans habe ich das Gefühl. „Selten mich über rund 1.000,-€ Kosten so gefreut.“ schreibt ein Fan heute im Forum über den Kauf von Tickets für zwei Konzerte in Rom.
I’m all right Jack, keep your hands off of my stack
Die Corona-Pandemie und auch der Brexit haben viel verändert im Konzertbusiness. Wie in anderen Branchen auch, wurden die starken Unternehmen weiter gestärkt, die schwachen ausgesiebt, den Monopolen noch mehr Macht gegeben. Dazu kommt eine Hyper-FOMO-Effekt: Gerade hat man vor Augen geführt bekommen, wie sehr einem Konzerte fehlen, wenn sie nicht stattfinden und dann sterben immer mehr interessante Künstler weg, bzw. erreichen ein Alter weit über 70 Jahren, teileweise über 80 Jahren, dass die nächste angekündigte Tour tatsächlich wirklich die letzte sein könnte. Bei den Stones haben wir das irgendwie seit den 90er Jahren, nach dem Austritt von Bill Wyman befürchtet, aber selbst der Tod von Charly Watts hält sie aktuell nicht vom Touren ab.
Dazu kommt die starke social Media Präsenz praktisch aller Künstler. Selbst der fast 80zigjährige David Gilmour unterhält mittlerweile einen TikTok-Kanal. Alle Fans sind somit zeitnah informiert, wenn Konzerttermine veröffentlich werden. Zusammen mit der alten Marketingmaschine (zeitgenau passendes Interview im UNCUT Magazin, Premiere des neuen Videos bei der BBC) wird auch der allerletzte Fan zeitnah erreicht und benachrichtigt
Resultat all dieser Aspekte: Zum Start des Presales brechen regelmäßig die Server der Tickethändler zusammen, bzw. verursachen lange digitale Warteschlangen. Tickets werden – wenn man durchkommt – blind ohne Saalplan gebucht. Ist Ticketmaster mit seinem dynamic pricing im Spiel, kostet ein 160€ Ticket schnell einmal 390€. Bei Bands wie Depeche Mode (nach dem Tod von Andrew Fletcher) ist ebenso ein Hauen und Stechen um die “wenigen” Tickets angesagt. Auch Künstler wie Nick Cave oder Air verkaufen in Minuten Ihre Spielstätten aus.
Die letztjährige Diskussion um Till Lindemann änderten nichts daran, dass die 12 Stadionkonzerte in diesem Jahr ratzfatz ausverkauft waren und Zusatzkonzerte nachgeschoben wurden. In Gelsenkirchen spielt man nun fünf Mal hintereinander, in Dresden vier Mal. Schnell nochmal gucken, bevor sie sich doch auflösen?
Kraftwerk gaben kürzlich über Instagram für das diesjährige Konzert in Dresden unerwartet kurz und bündig den Termin und die sofortige Ticketverfügbarkeit bekannt. Nach wenigen Stunden war das Konzert ausverkauft. Gut wer da eine funktionierende WhatsApp Gruppe mit seinen Freunden hat, wie wir bei SRT.
Auch wenn das Konzertangebot selbst schon inflationär ist, übersteigt die Nachfrage das Angebot. Inzwischen ist jeder Alt-Star auf Tour, weil a) das Touren für die Künstler heutzutage einfacher geworden sein dürfte und es b) eben eine Menge Geld einbringt. Sitz man dann im Konzert zwischen all den Zahnarztgattinnen und Steuerberatern auf ihren teuren Plätzen fragt man sich, ob diese Personen auch um 10 Uhr zum Presale-VVK-Start vor dem Rechner sitzen und immer wieder F5 drücken auf der Jagd nach Tickets. So richtig vorstellen kann ich es mir nicht, muss aber wohl so sein. Was früher Nerd-Hobby war ist nun Massensport.
Grab that cash with both hands and make a stash
Die 56DM wurden 1989 für einen Stehplatz im Innenraum eines Fußballstadions auf den Tisch gelegt. Dafür nehmen AC/DC heutzutage 152€, verkaufen trotzdem 12 Stadionkonzerte in Deutschland innerhalb von Stunden aus.
Nicht nur die Inflation ist daran schuld. „Früher ging man auf Tour um eine neue Platte zu promoten, heute macht man eine neue Platte um eine Tour zu rechtfertigen“, sagte Mick Jagger schon vor über 20 Jahren. Das trifft heute umso mehr zu. Mit Tonträgern ist heute (sieht man einmal von Vinyl ab) heute kaum noch Geld zu verdienen. Das Geld wird mit Live-Auftritten verdient. Da gewinnmaximiert sich die Branche selbst um Kopf und Kragen. Die Bücher von Berthold Seliger zu diesem Thema kennen vermutlich die meisten SRT-Leser. Durch moderne Technologie werden die Bühnen zwar aufwändiger als früher, dürften aber auch ehr günstiger als teurer geworden sein. Natürlich wurden Personal und Energie deutlich teurer. Das größte Problem dürfte allerdings die gängige Praxis unter den Topstars sein, Konzerte pauschal für einen Fixpreis an einen der Großveranstalter wie Live Nation zu verkaufen. Die können dann zusehen, wie sie die vermutlich gut geschätzte Million pro Konzert bei David Gilmour wieder reinbekommen. Das fängt bei der Parkraumbewirtschaftung an, geht über die Merch-T-Shirts für 60 Euro und mehr und endet beim Diamond-VIP-Package für 740€. Würde ein Gilmour wirklich wollen, könnte er solche Exzesse verhindern.
Für das David Gilmour Konzert in Pompeji habe ich 2016 auch 300€ bezahlt, aber das war eine Ausnahme. Pompeji eben, und ich habe es keine Minute bereut. 160€ gab ich dies Jahr auch gerne für einen guten Tribünenplatz aus, um Depeche Mode einmal aus der Nähe zu sehen, bei Nick Cave begnüge ich mich mit einem 90€ Ticket etwas weiter hinten. Nick Mason sehe ich auf dem Herzberg Festival für 90€, davor spielen sogar noch Kula Shaker (quasi gratis). Ein paar Tage später kostet mich das Ticket für Nick Mason im Tempodrom in der ersten Reihe 86 Euro. Kraftwerk halten ihre Ticketpreise seit Jahren stabil, mehr als 65 Euro zahlt man in Deutschland nicht. Letzte Woche sah ich Fortuna Ehrenfeld in einem kleinen schmuddeligen Laden in Bielefeld für gerade einmal 28 Euro, und wir hatten einen tollen Abend.
Die Relationen müssen stimmen, bei David Gilmour stimmten sie für mich nicht mehr dieses Jahr.
Die 1.000 Euro für eins seiner Konzerte in London oder Rom spare ich/wir mir/uns dieses Jahr. Tickets hätte man durchaus bekommen, wenn man denn gewollt hätte. Warten wir die Setlist, das neue Album und den Sound der Band ab. Youtube wird liefern. Evtl. geben wir David Gilmour 2025 eine neue Chance. Erstmal muss er nun vorlegen.