Wie schon vor 2 Jahren stand der Januar ganz im Zeichen von Kraftwerk. Wir hatten uns bereits im September des vergangenen Jahres, für eine Gruppenreise nach Amsterdam entschieden, um dort im Januar den Katalogabend 8, „Tour de France“, sehen zu können. Das altehrwürdige und legendäre Paradiso bestärkte uns in unserer Entscheidung, unseren Live-Katalog in Amsterdam weiter zu vervollständigen. Dann, im November, wurden urplötzlich weitere Konzerte der Katalogreihe für Januar in Berlin angekündigt. Neue Nationalgalerie! Das saß! Die Ereignisse überschlugen sich und wir hatten das Glück, für unseren Wunschabend, Katalog Nummer 6, „Techno Pop“, Karten zu bekommen.
Die Aufführung des „Techno Pop“- Albums in der „Ikone der Klassischen Moderne“ haben wir zusammen mit vielen Freunden und Musikbegeisterten des „Sigge-Rocktours-Express´“ erleben können und „Melodien für Jung und Alt“ zirkulierten auf gut 57 x 57 Metern. Dass auch meine jüngste Tochter mit dabei war, machte diesen Abend für mich zu etwas Besonderem und ich bin sicher, sie wird noch Ihren Kindern davon erzählen.
Der Sound war exzellent und die Erhabenheit des Raumes geradezu „erlebbar“. Die Musik konnte „atmen“ und wummerte und kreiselte um unsere Ohren. Das Publikum, welches im Vergleich zu Amsterdam in Teilen deutlich verhaltender war, stand ehrfurchtsvoll, mitunter wippend, vor den Projektionen und „lauschte“ den Beats. So, als wenn die 2 Farbfilter auf der Nase die bepappte Barriere war, die es vermeintlich untersagte, das audiovisuelle Großereignis der Musikarbeiter zu einem „Happening“ werden zu lassen. Vielleicht wär´ das aber auch zuviel des Guten gewesen und nicht im Roh´schen Sinne. Less is More!
Die gespielten Techno Pop Songs finde ich, auch im Rückblick, allesamt recht gut und ich hätte mir jedoch gewünscht, wenn Kraftwerk den Mut gefunden hätten, den Katalogteil mit den üblichen Setclosern und der Platte zugehörigen Songs („Boing Boom Tschak/Techno Pop/Musique Non Stop“) zu ergänzen um die etwas knappen 20min des „ersten Teils“ albumentsprechend zu erweitern. Dass sie fantastische Schlußsongs für ein Konzert haben, konnten wir in Poznan und Amsterdam erleben. Doch dazu später mehr. Einer der Höhepunkte war natürlich die Rückkehr der Roboter zu „Die Roboter“ die in Berlin Premiere im Rahmen der Katalogaufführungen hatten und das Publikum diese lautstark bejubelten. Geht doch!
Alles in allem ein wunderbarer und unvergessener Abend mit allen Hits und insbesondere „Trans Europa Express“, „Spacelab“, „Nummern“, „Neonlicht“ „Aero-Dynamik“ stachen für mich an diesem Abend hervor.
Ein letzter Blick in den sich leerenden Pavillon der nun für gut 5 Jahre seine Pforten schließt. Eine regnerische Nacht empfing uns und ich hoffe auf ein gutes Gelingen der kommenden Sanierung, die sich geplant bis 2020 erstrecken soll.
2 Wochen später!
Der Weg nach Amsterdam führte mich über Schönefeld direkt nach Schipohl und ein kalter und sonniger Morgen an der Mündung der Amstel empfing mich. Den Tag verbrachte ich in der Amsterdamer Innenstadt. Von Gracht zu Gracht. Von Gebäude zu Gebäude. Sehr schön und beschaulich empfand ich die Atmosphäre in der Stadt.
Die anderen Gruppenteilnehmer trudelten am frühen Nachmittag in Amsterdam ein, so dass wir uns alsbald zum Paradiso aufmachen konnten. Ein schöner Bau im neuromanischen Stil in dem schon viele großartige Bands und Musiker Konzerte gegeben haben. Nach 1976 kehrten Kraftwerk nun erneut an diesen Ort zurück.
Der Konzertsaal, der früher eine Kirche war, hat einen besonderen lieblichen Charme. Die Emporen die sich filligran an den Saalrändern erheben, das Licht, welches eine warme und angenehme „Ausstrahlung“ erzeugte und die übersichtliche Größe des Raumes sorgten für einen tollen Rahmen für mein 11. Kraftwerkkonzert.
Das Konzert war überragend und mit über 140 Minuten das längste das ich von der Band sehen konnte. Der Katalogteil „Tour de France“ erstreckte sich über 40 Minuten und es sind einfach großartige Songs, tolle 3-D Projektionen und es ist- natürlich- konzeptionell stimmig. Besonders gefielen mir „La Forme“ (meine Live Premiere), „Elektrokardiogramm“ und „Aerodynamik“. Das Publikum applaudierte begeistert und war auch sonst der sichtbar rhythmische Takt als sich die vier Kraftwerker mit Ihren elektronischen „Schaltungen“ von „Etappe zu Etappe“ bewegten. Das Ritzel surrte „formvollendet“ im Saal. Fantastisch.
Der 2. Teil des Abends war erneut mit allen Hits gespickt und ein außergewöhnlicher Moment war, als Ralf Hütter vor „Trans Europa Express“ dem Publikum auf niederländisch sagte, dass der Song in diesem Saal 1976 Premiere feierte. Dazu muss man wissen, dass er sonst maximal 4 Worte an das Publikum richtet ( „Gute Nacht“ , „Auf Wiedersehen“). Insofern war das etwas besonderes.
Die Spielfreude war allen 4 deutlich anzusehen und besonders gefielen mir an diesem Abend „Homecomputer/It´s more Fun to compute“, „ Die Roboter“, „Planet der Visionen“ „Trans Europa Express“ und „Boing Boom Tschak/Techno Pop/ Musique Non Stop“ .
Das auch die 4 Roboter erneut zum Einsatz kamen, war wunderbar und die konzeptionelle Umsetzung (Intro, geschlossener Vorhang, erste Beats, Vorhang öffnet sich, Roboter werden sichtbar, Stroboskoplicht, usw.) ist gelungen. Das Publikum erzeugte einen ohrenbetäubenden Lärm. Großartig.
Nach dem üblichen Konzertende mit (BBS/TP/MNS) kamen die 4 Herren nochmals auf die Bühne und knallten uns förmlich eine fast 17 minütige „Autobahn“ Version vor die Augen und um die Ohren, so dass ich voller Freude und fast „erstarrt“ von dem Ganzen, das Konzertende erlebte. Unglaublich intensiv und einnehmend. Das kurze Schlusshupen des VW Käfers war der außergewöhnliche Schlusston, den Ralf Hütter an diesem unvergessenen Abend setzte. Was für ein toller Setcloser und die Ovationen an die vier Musikarbeiter wollten nicht enden. Womöglich der heimliche Höhepunkt des Abends, der für mein Empfinden in der Länge genau dorthin hingehört.
Der Sigge-Rocktours Express hat nun 7 von 8 Katalogabenden sehen können und fast schließt sich die Zahlenreihe. Ob wir „The Mix“ (Katalog Nummer 7) noch sehen werden, wird die Zeit zeigen. Es waren fantastische zwei Jahre die uns in verschiedene Städte und an außergewöhnliche Orte führte. Wie sagte ein anderer Gruppenteilnehmer voller Überzeugung „Was für ein schönes Hobby“. Dem kann ich mich nur anschließen.
Wir haben darüber diskutiert, was wohl in Zukunft mit dem Werk von Kraftwerk geschehen wird, dem Tag, wo keiner der vier mehr auf der Bühne stehen wird (oder kann) . Von wem und vor allem wie wird Ihr Lebenswerk dann kuratiert? Werden in ferner Zukunft dann in den Opern, Museen und Kunsthallen dieser Welt die vier Roboter stehen und das „Konzert“ bestreiten? Als Teil einer Ausstellung? Jederzeit verfügbar? Unsterblich? Für die Ewigkeit? Die Mensch-Maschine! Es wird immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen!