Über diesen Abend wird noch lange zu reden sein: Nick Cave gab in der Max-Schmeling-Halle ein sensationelles Konzert, das den Künstler ganz im hier und jetzt und auf einem Höhenpunkt seines Schaffen zeigte. Vor dem Hintergrund einer persönlichen Tragödie scheinen sich das Werk und die charismatische Bühnenpräsenz dieses Mannes noch verdichtet und intensiviert zu haben. Kaum ein Song aus seinem Katalog, der nicht zwangsläufig eine tiefere Bedeutung über Verlust und den Umgang damit erfahren hat. Seine neuen Songs entfalten auf der Bühne durch die eindringliche Aufführung eine drückende Kraft, die sich auf der Platte nur erahnen lässt.
Halten und gehalten werden. Sich anschleichen und zurückziehen. Wie ein Schamane bewegt sich Cave auf schmalen Laufstegen und tastet sich immer wieder mitten ins Publikum hinein. Nach den ersten zwei Liedern hatte Cave das Publikum in der prall gefüllte Funktionshalle in seiner Hand – an den leisen Stellen war es ehrfürchtig still, am Schluss von „Into My Arms“ kam fast eine kirchlich-feierliche Stimmung auf, als das Publikum den Refrain ohne Begleitung sang.
An diesem Abend stimmt einfach alles: Der Sound war annähernd perfekt, die unglaubliche Dynamik der Band von sanft jazzig zirpend bis heftig-punkig-schrammelnd wurde sehr transparent wiedergegeben. Der Bass knarzte und drückte vortrefflich. Das Licht war dezent arrangiert und angenehm zurückhaltend eingesetzt. Besonders im Gedächtnis ist mit das hallenweite Strobo-Gewitter geblieben, mit dem sich der Tropensturm im ungut heranbrausenden „Tupelo“ ankündigte.
Das Set entwickelte einen zunehmenden Sog. Der „Higgs Bosom Blues“ und „Jubilee Street“ – beide mit ungeheuren Ausbrüchen und beide aus der vorletzten Veröffentlichung „Push The Sky Away“ waren erste Höhepunkte in einem Set, indem dem sich eine Perle an die nächste reihte. Die Performance stand diesem Umstand in nichts nach: Das wüste „Red Right Hand“, das andächtige „Into My Arms“, der erbarmungslose „Mercy Seat“. Fast nicht auszuhalten die fast greifbare, traurige Sehnsucht in „I Need You“. An den Schluss des regulären Sets steht das sanfte und bewegende „Skeleton Tree“, im Bühnenhintergrund tobte ein Schneegestöber und es deutete sich so etwas wie die Ahnung eines Hoffnungschimmers an, als die Bad Seeds und Cave gemeinsam raunen: „… and it’s alright … now“.
Zum schmissigen „Weeping Song“ durchschreitet Cave das Publikum, um auf einem Podest mitten in der Halle die Beschwörungszeremonie in der Menge fortzuführen. Danach zieht er – das Bild des Predigers mit seinen Jüngern drängt sich auf – mit 30, 40 Fans zurück und herauf auf die Bühne. Und tatsächlich kommt es nach der wilden, apokalyptischen Party zur Geschichte vom Blutrausch des „Stagger Lee“ zu einer Art Erlösungsszene: Der Schmerzensmann singt, umringt von seinen lauschenden Fans, das zarte Lied des Weitermachens und Weiterlebens, allem Unbill zum Trotz: „You got to keep on pushing, keep on pushing it – Push the sky away“ – Trostspende und Trauerarbeit in dunklen Zeiten. Ein Ausblick auf Licht am Ende des Tunnel und ein Hymne an die heilende Kraft der Musik.
“And some people say it’s only Rock’n‘Roll
Oh, but it gets you right down to your soul”.
Setlist:
1.Anthrocene
- Jesus Alone
- Magneto
- Higgs Boson Blues
- From Her to Eternity
- Tupelo
- Jubilee Street
- The Ship Song
- Into My Arms
- Girl in Amber
- I Need You
- Red Right Hand
- The Mercy Seat
- Distant Sky
- Skeleton Tree
Zugaben:
- The Weeping Song
- Stagger Lee
- Push the Sky Away