Es war unser 11. Bob Dylan Konzert. Der letzte Bob Besuch in der Bielefelder Seidenstickerhalle lag nun schon über 4 Jahre zurück. Danach hätte wir ihn nochmal in Berlin sehen können, aber Bob in der Mercedes-Benz Arena? Das fühlte sich irgendwie komisch an, haben wir daher ausgelassen.

Nachdem die Neverending-World-Tour durch Corona auch einmal ungewöhnlich lange pausieren musste, kehrte der inzwischen 81 jährige Bob Dylan auch zurück nach Deutschland. Die Auftrittsorte sind recht ungewöhnlich gewählt: Flensburg, Magdeburg, Krefeld und dreimal Berlin. Diesmal zum Glück nicht in der Mercedes-Benz Arena, sondern gegenüber in der Verti Music Hall, die immer mehr Charme entwickelt und sich in der vollbestuhlten Variante auch als sehr gute Konzerthalle erweist. Hier gab es von keinem Platz aus eine schlechte Sicht. Zudem hat das Hallenteam Erfahrung mit den YONDR-Hüllen, in die die Smartphones aller Zuschauer verpackt wurden. Bob möchte keine Fotos. Nicht mal Pressefotografen waren zugelassen. Wie schon bei Jack White war dies ein wunderbar entspanntes Konzert ohne Smartphones. Ob die merkwürdige Auswahl der Konzertorte durch die Bereitschaft der lokalen Veranstalter diesen Service anzubieten zustande kam, können wir nur vermuten. In der Verti Music Hall klappte es (mal wieder) hervorragend.

Das Bühnenbild war extrem schlicht gehalten. Der Oscar und der Nobel-Preis, die in Bielefeld wie in den Jahren zuvor üblich noch Stolz auf einem Verstärker standen, waren verschwunden. Ebenso wie die berühmte Ankündigung “Please welcome Columbia recording artist: Bob Dylan”.

Man erkannte keinen Scheinwerfer auf der Bühne, die sonst nur aus einem großen Samtvorhang mit einer Nische für die Band bestand. Es gab genau drei Lichteinstellungen, eine davon war “dunkel“. Dann gab es eine Variante, bei der nur der Samtvorhang von unten beleuchtet wurde und die Band als dunkle Silhouette davor sichtbar war. Maximaler Stromverbrauch war angesagt, als die Band in Variante drei zusätzlich von vorne-unten mit warmem, weißgelben Licht ausgeleuchtet wurde. Meist in den Situationen in denen der Meister sich hinter seinem Pino erhob um zu singen.

“Er versteckt sich doch jetzt nicht ernsthaft hinter seinem Piano?” – “Doch, ich fürchte, genau das tut er”.

Autor und Bruder im Dialog nach den ersten 2 Konzertminuten

Die Gitarre hatte Bob bereits vor Jahren wegen seines Rückens abgelegt. Auf dieser Tour versteckt er sich – zumindest im Sitzen – hinter seinem schwarz abgehängten E-Piano. So sah man in den ersten Konzertminuten nur seinen Haarschopf hin- und hertänzeln, bis die ersten Textzeilen anstanden. Dazu erhob sich der Meister dann und man sah zumindest seinen Kopf hinter dem Mikrofon.

Zwischen einzelnen Songs bewegte er sich dann auch ein paar mal sichtbar angestrengt neben das Piano um sich dem Publikum zu zeigen, deutete mit einer leichten Bewegung des Oberkörpers, die ehr in Minuten als Grad gemessen werden konnte, eine Verbeugung an, und schob sich anschließend wieder umständlich hinter sein Piano. Fast 90 Konzerte spielt Dylan in diesem Jahr. Hut ab!

Nach all den Jahren schaffte auch Bob es immer wieder uns zu überraschen. Wir hatten im Vorfeld bewusst keine Setlists studiert (was bisher bei Bob Dylan auch recht sinnfrei war). Kein Song aus den für Bob so erfolgreichen 90er und 2000er Jahren hat es mehr in die Setlist geschafft. Dafür gab es 8 von 10 Songs des neuen Albums Rough and Rowdy Ways, dazu als Opener mit Watching the River Flow, einen ehr unbekannten Song aus den 70ern. Gotta Serve Somebody aus seiner ehr merkwürdigen, christlichen Phase der 80er Jahre entpuppte sich als ein Highlight der Setlist. Besonders hervorzuheben vom neuen Album waren Key West und Black Rider.

Wer sich hier auf Zugaben wie Like a Rolling Stone oder  Knocking on Heaven’s Door gefreut hat, wurde enttäuscht. Dass Dylan seit vielen Jahren konsequent die Erwartungshaltung an ein Rockkonzert unterläuft, dürfte inzwischen allgemein bekannt sein.

Das Publikum war erwartungsgemäß aus den älteren Semestern zusammengesetzt. In der Reihe vor uns saßen gleich Dylanologen, die sich ständig Notizen in ihre Kladden machten, wenig entfernt von uns ein älterer Herr, der immer mal wieder einen dezenten Blick auf den Pegel seines Aufnahmegeräts warf. Alles wie immer, einschließlich der Paare, die zwischendurch aufstanden um entnervt den Saal zu verlassen, weil sie keinen Song erkannten.

Wir hatten gute Plätze in der Mitte des Saals, recht nah vor dem Soundboard. Hier war der Sound perfekt. Die Band war ungewöhnlich klar abgemischt. Auch Bobs Gesang hat sich verändert. Möglicherweise liegt es am Literaturnobelpreis, dass ihm seine Texte scheinbar wieder am Herzen liegen. Er nuschelt sie nicht mehr weg, es gibt kein “Up-Singing” mehr. Die großartige Band – besonders hervorzuheben Charley Drayton an den Drums, scheint primär dazu zu dienen, Musik um Bobs Sprechgesang herumzutupfen. Gelingt ihnen großartig.

Dylan fordert sein Publikum, auch diejenigen, die ihm seit Jahren sowieso treu ergeben sind. Wer sich darauf einlässt, hat die Chance ein besonderes, überraschendes und inspirierendes Konzert zu erleben.

Setlist:

  1. Watching the River Flow
  2. Most Likely You Go Your Way and I’ll Go Mine
  3. I Contain Multitudes
  4. False Prophet
  5. When I Paint My Masterpiece
  6. Black Rider
  7. My Own Version of You
  8. I’ll Be Your Baby Tonight
  9. Crossing the Rubicon
  10. To Be Alone With You
  11. Key West (Philosopher Pirate)
  12. Gotta Serve Somebody
  13. I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You
  14. That Old Black Magic
  15. Mother of Muses
  16. Goodbye Jimmy Reed
  17. Every Grain of Sand