Herbert Grönemeyer: 40 Jahre 4630 Bochum in Bochum
„Wascht Ihr doch Eure Autos“, dachte ich mir am Samstag, nachdem am Vorabend zwei Freunde beim Rudelgucken des wunderbaren 5:1 EM-Auftaktsiegs (6 Tore von Deutschland) erwähnten, dass sie am nächsten Tag zum Grönemeyer-Konzert nach Bochum fahren. Verdammt, da war doch was. Ich hatte die Tour wahrgenommen, die ersten Konzerte waren aber ausverkauft, bevor ich jemanden fragen konnte, ob Interesse besteht mal wieder Herbert Grönemeyer zu sehen. Mein letztes Grönemeyer-Konzert liegt erschreckenderweise 30 Jahre zurück.
Während andere schrubbten und polierten, suchte ich auf einem Online-Kleinanzeigen-Portal nach erkrankten Personen, deren Partner ein Ticket abzugeben haben. Mittags hatte ich dann die Zusage, im dreckigen Auto ging es nach Bochum und die Übergabe fand vor dem Stadion statt. So landete ich auf der Tribüne des Ruhrstadions.
Standort: 4630 Bochum, Ruhrstadion
Das Ende der 70er Jahre fertiggestellte Ruhrstadion steht mitten in Bochum und ist Heimstätte des VfL Bochum. Gibt es einen besseren Ort, um 40 Jahre 4630 Bochum zu feiern? Sicher nicht. Die massiven Betonträger geben dem Stadion von außen eine markante Optik. Innen entpuppt es sich zum Glück als eines der älteren, kleineren aber funktionellen Stadien. Man ist schnell an seinem Sitzplatz im Block. Wie es sich für ein klassisches Fußballstadion gehört, gibt es für die Herren ein schnell vom Block aus zu erreichendes WC mit einer effizienten, riesigen Edelstahl-Urinalwand, für alle anderen einen mit „Familie“ beschrifteten WC-Raum mit Einzelkabinen. Schon damals vorausschauend fortschrittlich geplant.
Von 25.000 Zuschauern spricht so ziemlich jeder Bericht über diese Konzerte, dabei handelt es sich jedoch um die Tribünenkapazität des Stadions. Meiner Meinung nach vergisst man da die rund 10.000-15.000 Fans im Innenraum. Kommt davon, wenn alle voneinander abschreiben oder KI nutzen. Es dürften also ehr 30.000-35.000 Fans an jedem der vier Abende in Bochum anwesend gewesen sein, wenn man die Osttribüne hinter der Bühne abzieht.
Die Bühne: Eigentlich nur reine große LED-Wand mit ein wenig Licht dazwischen. Licht spielte eh keine große Rolle, da der Sonnenuntergang quasi mit dem Beginn des Zugabenteils zusammenfiel. Irgendwie kam es bei diesem Konzert darauf aber auch nicht an.
Bochum, ich komm aus Dir
Gibt es einen besseren Ort, um ein Herbert Grönemeyer-Konzert abzuhalten als das Ruhrstadion? Wohl kaum. Von Anfang an hat Herbert das Publikum im Griff, lässt sich feiern und aufpuschen vom unglaublichen Zuspruch. Selbstironisch scherzt er über sein Outfit, seine Statur, seinen Tanzstiel. So kennt man ihn. Hier in Bochum strahlt er dabei noch ein wenig mehr vor Glück, wenn ihn das Publikum noch mehr als sonst auf Händen trägt. Das Konzert wird zum Selbstläufer, den meisten Teil singt eh das Publikum. Herbert läuft ständig über die Weite der Bühne, die B-Stage rauf und runter, kommt gerade noch rechtzeitig zum Einsatz wieder beim Keyboard an… meistens jedenfalls. Er ist ein Meister der Crowdcontrol, so wie man es sonst nur von Phil Collins, David Gahan oder eben Westernhagen kennt, dem anderen großen Deutschen, der damals Stadien füllen konnte.
Das Stadion liegt ihm zu Füßen, Herbert schwebt im 7. Himmel. Da stört es gar nicht, dass im ersten Konzertabschnitt die Setlist für meinen Geschmack etwas beliebig zusammengestellt ist. Das Konzert beginnt mit „Das ist los“ von seinem letzten Album, na gut, die nächsten Songs sind ganz passabel, mehr auch nicht. Dann kommen wenigstens „Was soll das?“ und „Vollmond“, leider gefolgt vom etwas gewollt klingenden Doppelherz / Iki Gönlüm. Dann wird mit „Musik nur wenn sie laut ist“ und „Mensch“ nochmal aufgedreht, bevor es ans (fast) komplette Bochum Album geht, wenn auch nicht in korrekter Reihenfolge, was allerdings dramaturgische Gründe hat, wie wir später erfahren. Die letzten Stücke auf der B-Seite eben.
#40 Bochum
40 Jahre hat das Album, das Grönemeyer zu einem (Musik-)Star machte inzwischen auf dem Buckel. Nach einigen erfolglosen Alben zuvor war es der letzte Versuch, als Musiker Fuß zu fassen. Als Schauspier hatte er unter anderem in Wolfgang Petersens Das Boot Eindruck hinterlassen und viele fragten sich, ob das denn mit der Musik sein muss. Er ist doch schon ein passabler Schauspieler.
Während des Konzertes gibt es dann auch einige lustige Geschichten über die Entstehung zu hören.
„Shtnimblick… dein Lachen ist gemalt…“, der bekannte Anfang von Flugzeuge im Bauch irritierte den Plattenboss im Studio. Er verstand einfach nicht, was da gesungen wurde. „Ok, wir überarbeiten das.“ versprach Grönemeyer, verzog sich vier Stunden lang in die Kantine des Kölner Studios und präsentierte schließlich das unveränderte Band erneut. „Ahhh…. SCHATTEN IM BLICK…“, jetzt hatte es auch der Plattenboss verstanden.
Aber es gab auch Füller auf dem Album, wie unumwunden zugegeben wird. Die landen dann am Ende der B-Seite. Nur widerwillig spielt er Erwischt, kommentiert es zwischendurch abfällig mit „Das ist Lyrik, oder?“ und „Das muss man erstmal singen“.
Seit ein paar Tagen liegt mir auch die 5.1 Version des Klassikers vor. Während das Album Mensch in der 5.1 Version deutlich gewinnt, offenbart die hochauflösende Multichannel-Version von 4630 Bochum dann doch stellenweise die Schwächen der damaligen Produktion. Trotzdem hörenswert.
Heute im Stadion sind alle Songs stadiontechnisch aufgebohrt, von einer erstklassigen Band. Am Ende der Songs gibt es ausführliche Bongo-Soli (Mambo) oder ellenlanges Gitarrengeniedel, bis der Drummer den Song beendet. So gehört sich das im Stadion.
Der Sound im Stadion war erstaunlich gut. Kein Wunder, denn mit Colin Norfield sitzt bei Grönemeyer seit Jahren ein alter Bekannter aus dem Pink Floyd / Britannia Row – Universum an den Reglern. Er wurde sogar bei der Band/Crew-Vorstellung von Herbert namentlich auf der Bühne erwähnt. Norfield beschrieb Grönemeyer in einem Interview mal als einen seiner schwierigsten Kunden, weil er das Mikro überall hinhält, nur nicht da, wo es hingehört. So ist er eben, der Herbert.
Da darf man sich bei Songs wie Alkohol auch nicht wundern, wenn zum Publikum teilweise nur noch Textfragmente durchdringen, egal, den größten Teil singt eh das Publikum, Herbert juchzt immer kurz dazwischen.
Neben Alkohol und Männer, glänzen natürlich auch Flugzeuge im Bauch und Amerika. Bei letzterem Song fällt auf, wie zeitlos der Song doch ist, auch wenn er damals eine ganz andere Thematik anging. Zuvor hatte er vom Publikum noch 100%ige Textsicherheit gefordert, verhaspelte sich dann allerdings selbst gleich bei Amerika und streute kurz ein „Egal, sing ich halt zweimal [die Strophe]“ ein. Geht auch, ist genehmigt.
Für Dich da, ein simples Liebeslied, reduziert auf die wichtigste Aussage einer Beziehung, glänzt auch zeitlos schön. 4630 Bochum ist schon ein Meisterwerk, auch wenn es hinten ein paar Füller gibt. Wenn zum Auftakt bei Bochum das Publikum fast geschlossen die VfL-Bochum-Fanschals hochhält und praktisch alleine singt, weiß man, wie sehr dieser Song zur Stadt und zum Stadion gehört. Gänsehaut!
Bleibt alles anders
Nachdem Mambo die Bochum-Sektion würdig abgeschlossen hat, folgt noch der ausführliche Zugabenteil, immer wieder unterbrochen von Publikumsgesängen. Oft wird Oh wie ist das schön angestimmt, vielfach auch minutenlang das „Oh o o o Oh Ooh“, der inoffiziellen Fußballhymne 7 Nation Army. Man ist halt in einem waschechten Fußballstadion, keiner Multifunktionsarena.
Auch im Zugabenteil gibt es einige Songs, die man hier nicht vermutet hätte. Land Unter wird auf Niederländisch angesagt, weil der Song dort im Gegensatz zu Deutschland ein großer Hit war.
Eines der Highlights sicherlich das gerade hochaktuelle „Zeit, dass sich was dreht“, der Song für den die FIFA Grönemeyer immer noch 45.000 € schuldet, wie er kürzlich in einem Interview verriet. Hier entstand auch eine geradezu beängstigende Symbiose von Publikum und Bühnenbesatzung. Immer noch Gänsehaut.
Den (vermeintlichen) Abschluss soll ein zweiter Durchgang von Bochum sein, da er einmal in einer Konzertkritik dafür verrissen wurde, dass er den Song nur einmal in einem Bochumer Konzert gespielt hatte. Also nochmal Bochum, diesmal primär vom Publikum gesungen. Noch mehr Gänsehaut.
Die Stadt Bochum ist sehr streng, was den Lärmschutz angeht. Darum muss um 23 Uhr spätestens Schluss sein. Daher flog zwei Tage zuvor auch der Liveklassiker Currywurst aus dem Programm. „Haben wir noch Zeit?“ fragt Herbert Richtung Bühnenrand? Haben wir zum Glück, und so gibt es kurz vor Konzertende nochmal Currywurst. Eine Textzeile davon schaffte es sogar auf die offiziellen Pappschalen vom VfL-Bochum. Danach nahm das Publikum Herbert das Heft aus der Hand. Es musste erneut Oh, wie ist das schön eingeschoben werden, bevor er das Konzert wie üblich mit Immerfort (erstmal) beendete. Herbert ließ sich feiern, die Band war schon lange von der Bühne verschwunden, das Publikum war inzwischen wieder bei 7 Nation Army angelangt und dann ging er nochmal zum Keyboard und setzte mit Der Mond ist aufgegangen den finalen Schlusspunkt um 23.10 Uhr. Mögliche Strafzahlungen der Stadt waren ihm in diesem Moment einfach egal.
Setlist
Das ist los
Sekundenglück
Kopf hoch, tanzen
Halt mich
Glück
Was soll das
Vollmond
Doppelherz / Iki Gönlüm
Musik nur, wenn sie laut ist
Mensch
4630 Bochum
Intro Komm zur Ruhr
Steigerlied
Bochum
Oh wie ist das schön
Für Dich da
Amerika
Alkohol
Erwischt
Jetzt oder nie
Flugzeuge im Bauch
Fangfragen
Männer
Mambo
Encore:
Oh wie ist das schön
Kinder an die Macht
Mein Lebensstrahlen
Zeit, dass sich was dreht
Encore 2:
Der Weg
Herzhaft
Bleibt alles anders
Encore 3:
Angstfrei
Land unter
Demo (Letzter Tag)
Bochumer Jungenlied
Bochum
Currywurst
Oh wie ist das schön
Immerfort
Der Mond ist aufgegangen