Karies, die bereits im März ein aufregendes Konzert im Kreuzberger Westgermany gegeben haben, kamen an diesem sonnigen Oktobertag erneut nach Berlin. Diesmal in die Berghain-Kantine an der Rüdersdorfer Straße, im Schatten des großen Bruders. Auch dieser Abend war ausverkauft.
Max Nosek schrieb noch rasch die Setlist. Kevin Kuhn, barfuß, kurze Shorts und im Stile eines Boxers die Kapuze des Parkas tief ins Gesicht gezogen, bestückte sein Arbeitsgerät mit Becken und Snare. Benjamin Schröter kauerte am Bühnenrand und zog entspannt an der Zigarette. Jan Rumpela war nicht zu sehen. Die Ruhe vor dem Sturm. Die Wanduhr in der Kantine tickt nicht mehr. Sie steht seit Ewigkeiten stumm auf kurz vor Zwölf. Ganz so spät war es dann doch nicht, als die vier Musiker die Bühne betraten.
„1,2,3,4,5 Parole Grätig“ aus dem Song „Einen Monat noch“ knallte es unvermittelt und voller Wucht aus den Boxen und die gesamte Band erhitzte sofort auf Betriebstemperatur. Kein „wir-fangen-mal-langsam-an-und-schauen-dann-weiter“. Der unvergleichliche Kevin „Moonie“ Kuhn wirbelte präzise am Kit und wie ein „von der Leine gelassenes Raubtier“ schrie – jedoch immer verständlich – Benjamin Schröter die Worte ins Mikrofon. Eine klare Ansage für die kommenden 70 Minuten. Kein Innehalten. Keine Pause. Der Sound an diesem Abend war exzellent.
Max Nosek am Bass und Jan Rumpela an der Gitarre bildeten dazu, nicht nur optisch, den ruhenden Gegensatz zu den beiden wuchtigen Protagonisten am Schlagzeug und Mikrofon und der Gitarre. Ergänzend sind es die großartigen Basslinien von Nosek, die dem Karies Sound den Stempel aufdrücken, der ihn einzigartig macht. Nosek ist auch die zweite Gesangsstimme der Band. Diese klingt sanfter, etwas zurückgenommen und dabei trotzdem eindringlich.
Vor allem sind es die Texte, diese [deutsche] Direktheit, dieses „auf den Punkt kommen“, die diese Band interessant macht und man spürt deutlich, dass, wie zu lesen war, die „Worte eine Bedeutung haben [müssen] und ich (Nosek) nicht irgendeinen Quark singen kann“.
„Du glaubst es nicht zu schaffen/doch sei ganz beruhigt/das Leben wird mit allem fertig/das Leben wird auch mit dir fertig“ singt der junge Nosek in „Keine Zeit für Zärtlichkeit“ fast ein wenig prophetisch. Wer kennt das nicht.
Die kraftvollen Songs verzahnten sich zu einem stürmischen Abend. Die Energie auf der Bühne übertrug sich ungebremst auf die sichtlich bewegten Besucher. Karies spielten sich durch ihre gesamte Diskographie.
Beim epischen „Win-Win“ lösten sich die letzten herunterhängenden Farbreste von der Kantinendecke. Die „Misere“ in der Schröter beschwörend „Den Kopf an meiner Schulter/ bist du immer noch allein/ Den Kopf an deiner Schulter/ bin ich immer noch allein/ Was für eine Misere das doch ist“ singt, wirft das Thema Isolation, Einsamkeit und Beziehungsfähigkeit in den Raum. Ein immer wiederkehrendes Thema ihrer Songs.
Mit einem „Traum von D.“ endete an diesem Abend der Auftritt. Ein wunderbarer energetischer Spannungsbogen, der mit einem Break kurz vor Ende des Songs (nur sanftes und kaum hörbares Schlagwerk),das aufgeheizte Publikum zur absoluten Ruhe zwang, um dann, in bester Postrock Manier, den Song mit einem berstenden instrumentalen Outro abzuschließen. Hölle!
Für zwei Zugaben kam die Band zurück. Kevin packte die Cowbell aus und montierte sie rasch am Kit und mit „Es ist ein Fest“ endete der Abend wie er begonnen hatte: Druckvoll. Ohne Kompromisse. Mit dem Standard Setcloser „Ein Jahr Herbst“ endete der umjubelte Abend furios.
Die Uhr in der Kantine stand immer noch auf kurz vor Zwölf. Der Wirklichkeit ganz nah.
Danke Karies für den großartigen Abend!