Wo vor über einem Vierteljahrhundert Waren des täglichen Bedarfs gekauft wurden, finden heute Konzerte statt. Großartig!
Wer hätte sich träumen lassen, dass in der Kaufhalle der Handelsorganisation, also der ehemaligen HO an der Holzmarktstrasse /Ecke Jannowitzbrücke, Kunst und Kultur Einzug halten werden, wo früher Kosumgüterprodukte wie z.B. der abscheuliche Malzkaffee „Im Nu“ (natürlich Röstfein), die „Schokolade“ Schlager Süßtafel das Scheuerpulver „Ata“ und der süffige Rotwein „Rosenthaler Kadarka“ verkauft wurden.
Das sich der Ort jedoch entwickelt hat, kann man gern hier nachlesen: www.hoberlin.de.
Es war mein erster Nach-Wende Besuch dort und als ich den Raum betrat, war ich schon beeindruckt. Keine Regale, keine Lebensmittel, kein Kassengeklimper, keine Einkaufswagen nicht mal alte DDR-„Devotionalien“ waren auszumachen.
N-a-t-ü-r-l-i-c-h nicht!
Die Kargheit und die „hallenartig“ anmutende Raumgröße, finde ich als Konzertort spannend und durch die großen Stützabstände, wirkt der Raum „offen“ und bietet gute Sicht-und Stehmöglichkeiten hin zur Bühne. Lediglich die geringe Raumhöhe „drückte“ ein wenig, jedoch ist das Belassen der vorhanden MF-Decke sicher eine gute Idee gewesen, um den Raum, der auch noch mit dem guten alten DDR-Betonwerksteinbelag aufwartet, nicht jeglicher Akustik zu berauben. Die Bühne war auf einer der längeren Raumseiten angeordnet, 2 imposante Boxentürme waren zu sehen und etliche Bierzeltsitzbänke waren aufgestellt. Das schummrige Licht sorgte für Behaglichkeit. Es war angerichtet.
Bohren und der Club of Gore, eine Band aus Mühlheim an der Ruhr, haben in diesem Jahr mit Piano Nights nicht nur ein tolles und hochgelobtes Album veröffentlicht, sondern auch gleich mal den Käufern den musikalischen Inhalt der Doppel-LP auf dem „Cover of the Year“ verdeutlicht. Mein Klavier und ich. Wunderbar. Die Musikrichtung ist nach eigenen Aussagen eine Form von „doom ridden jazz music“. Kann man so stehenlassen.
Die HO war sehr gut besucht und ich schätze, dass sich ca. 200-250 Zuschauer eingefunden hatten um der „Messe“ beizuwohnen. Nachdem uns Marc Weiser von Palais Wittgenstein mit seinen elektronischen Klängen vom Band recht gut und laut unterhalten hatte, so als wolle er uns nochmal richtig aufmuntern für den kommenden „Kanon der Langsamkeit“, kamen (oder besser tasteten sich) gegen 22:20 Uhr drei Herren vom Club of Gore auf die Bühne. Ob der vierte, zur Band gehörende Musiker -Thorsten Benning (Drums)- auf der Bühne war, konnte ich beim besten Willen bis zum Schluß der Aufführung nicht erkennen. Auch was Neues.
Dazu muss man wissen, dass der (große) Raum fast vollständig verdunkelt wurde und auch „kein offener Kühlschrank“ (Bohren) die Finsternis störte. Die Bühne war nur in Ihren Umrissen zu erkennen und man nahm die Musiker kaum wahr. Lediglich vier Halogenpunktstrahler warfen farbige, schummrige Lichtkegel auf die Musiker, sofern Sie Ihre Instrumente bedienten.
Mit „Im Rauch“ eröffneten sie im wahrsten Sinne Ihr Konzert und die Stille im Raum hatte fast „beängstigende“ Züge welche lediglich durch das vereinzelte Umkippen leerer Bierflaschen auf den Boden empfindlich gestört wurde. Kennt man ja. Der Sound war für mein Empfinden sehr gut und die Boxen hielten, was sie augenscheinlich versprachen. Klar und kristallin kamen Saxophon, Tasteninstrumente, Kontrabass und Vibraphon und eine Hi-Hat? (so meine Wahrnehmung) zur Geltung.
Ich möchte an dieser Stelle mal erwähnen, dass Palais Wittgenstein, so meine Erfahrungen, was den Sound betrifft, immer recht gut aufgestellt zu sein scheint. Das konnte ich schon im Haus Ungarn bei Konzerten „hören“ aber zuletzt auch im Urban Spree und der dazugehörigen Galerie. (Balmorhea, Esmerine, u.a.). Sehr schön!
Nach dem ersten Song stellte Christoph Clöser, der Mann am Saxophon und Vibraphon, mit sonorer Stimme die Band mit „wir sind verschrienen, als die Romantiker aus Westdeutschland“ vor und im Sog der Langsamkeit setzten Sie, eingehüllt in ein sanftes Blau, Ihren Auftritt „Bei rosarotem Licht“ fort. Prima!
Den reinen Instrumentalsongs von Piano Nights, ihren „Liebesliedern“ (Clöser), umweht immer ein Hauch von erotischer Melancholie, eingerahmt durch die zähflüssige Behäbigkeit des Taktes, von dem samtenen, rauchigen Tönen des Tenorsaxophons, dem weichen Klang des Fender Rhodes Piano, der Finsternis, dem Unscheinbaren, dem nicht genau wissen, was so wirklich passiert, von dem Erahnen, der persönlichen Vorstellung, was sich nach dem Entfalten der Klänge offenbaren könnte. Dazu scheint diese Musik gemacht zu sein. Im Konzert bilden die von Christoph Clöser ins Mikro gehauchten Sätze die dazugehörigen „Bridge[s]“ wie z.B. „für die Anhänger der sauberen Erotik“ („Unrasiert“) oder seinen „Erläuterungen“ zu dem [ehemaligen] Liebeslied „Fahr zu Hölle“.
Ich persönlich finde das recht amüsant und der ironische Unterton dürfte wohl jedem Konzertbesucher nicht entgangen sein. Das Lachen und Klatschen des Publikums war wohl auch Ausdruck dessen.
„…dass es hier so dunkel sein kann“ witzelte Clöser noch und meinte, dass sie für die Zugaben auf keinen Fall die Bühne verlassen werden und nach gut 80 min beendeten sie nach zwei Zugaben Ihren außergewöhnlichen Auftritt.
Das Konzept ist stimmig. Toll!
Sehr schön auch C. Clösers charmante Frotzelei über die „Looser aus Berlin“, abschließend gab er uns mit auf den Weg:
„Bleibt fröhlich“.Machen wir gern!
Toller Abend, großes Ende! Bestimmt mal wieder, dann jedoch bitte auf etwas bequemeren Sitzmöglichkeiten!
Setlist:
Im Rauch
Bei rosarotem Licht
Fahr zur Hölle
Irrwege
Ganz leise kommt die Nacht
Segeln ohne Wind
Unrasiert
Verloren (alles)
Komm zurück zu mir
Karin
Destroying Angels