Das Amphitheaterder der Ruinenstadt Pompeji ist wohl für jeden, der sich mit Pink Floyds Schaffen vor den Überalbum Dark Side of the Moon und dem was darauf folgte intensiver beschäftig hat, der Sehnsuchtsort schlechthin. Für mich stellt der wirkmächtige Konzertfilm Live at Pompeii von 1971 einen Dreh- und Angelpunkt im Werk dar. Mystisch und erhaben präsentiert dieser die Band auf dem Höhepunkt ihrer prägenden Frühphase. Eine zeitlose Musik der anderen Art, die jedes langweilige Rock’n’Roll-Klischee weit hinter sich lässt. David Gilmour bespielt überraschend auf seiner aktuellen Welttournee diese heilige Stätte für zwei exklusive Konzerte. Dass der Gitarrist und Sänger in Sachen Songauswahl, Stimme und authentischer Aufführungspraxis der Fackelträger oder Lordsiegelbewahrer dieser frühen Bandperiode ist, hatte er 2006 eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Mit einer Portion Glück und auch unter Einsatz nicht unerheblicher finanzieller Mittel konnte das Sigge-Rocktours-Triumvirat sich die Teilnahme am zweiten Abend auf heiligem Boden sichern.
Dem besonderen Ort wurde bereits durch eine veränderte Produktion Rechnung getragen. Die Bühnenkonstruktion und kam dank der süditalienischen Witterung ganz ohne Dach aus. So wurde die ikonische, elliptische Geometrie des Amphitheaters kaum verdeckt. Rund um das Oval waren zusätzliche Leuchten, Suchspots und an die antike Historie gemahnende Feuerschalen angeordnet, so dass die Arena rundum in die Aufführung mit einbezogen wurde. Ebenso wie die Bühnenarchitektur erwies sich die musikalische Aufführung durchaus als würdevolle Annährung an diesen mythenbeladenen Ort.
Im ersten Teil erklang die erhabene Totenklage The Great Gig in Sky. In der Tradition des Originalfilmes als Requiem und Geisterbeschwörung an diesem Ort eine würdevolle und angemessene Wahl. Im Zusammenhang mit dem darauf folgenden A Boat Lies Waiting wird natürlich dabei auch Rick Wright gedacht. Das die Aufführung des Stückes am zweiten Abend leider zwischendrin merklich versemmelt wurde: Geschenkt!
Der ganz offensichtlich extra für die Pompeji-Rückkehr ins Programm gehievte tosende Proto-Postrock-Stampfer One of These Days: Die reine Offenbarung. Steve DiStanislao drückte uns auf der Basstrommel zu Beginn die 1/4-Schläge auf Ohren und Bauchdecke während Gilmour seine blonde Slidegitarre zum Glühen und Jaulen und Fauchen brachte. Pures Glück in Tüten!
Auch wenn sich einige wohl eine radikalere Änderung des Sets gewünscht hätten – Gilmour musste nach vielen Zwischenrufen ersten Abend am zweiten erklären, warum Echoes nach dem Tod Rick Wright nicht mehr zur Aufführung kommt – beließ man es bei diesen zwei wirkungsvollen und geschmacksicheren Umstellungen, die den Geist des ersten Besuches vor 45 Jahren herauf beschworen.
Die neuen Bandmitglieder brachten sich hervorragend ein. Chester Kamen blies mal die Mundharmonika, war bei Wish You Were Here mit dem Bottleneck zu Stelle. Das Gitarrenduell in Money befeuerte auch Gilmours Spiel in diesem alten und zuweilen etwas abgenudelten Schlachtross – in Pompeji groovte es wieder mächtig. Auch das verträumt-behäbige On An Island erschien deutlich aufgefrischt und war ein überraschender Höhepunkt des zweiten Teils. Bei Run Like Hell donnerte ein Feuerwerk über dem äußeren Perimeter der Anlage los, und nebelte das Rund gehörig ein.
Zum Abschluss der Zeremonie stand traditionell Comfortably Numb. Chuck Leavell sang die Doktoren-Stimme in einer neuen aber passenden Phrasierung – sehr schön! Gilmour trat – mit Hilfe der auch den ursprünglichen The Wall-Aufführungen verwendeten Kombination aus den klassischen „Big Muff“- und „Electric Mistress“-Pedalen – eine pyroklastischen Welle los, die mit dem zweiten Solo wieder und wieder über das Auditorium hineinbrach. Der Mann spielte sich dabei merklich in einen Rausch. Begleitet von unwirklichen Lasergewittern, die sich Welle um Welle steigerten, konnte man da schon mal die Orientierung verlieren. Wenn auch schon oft gehört sucht diese Version in meiner Erinnerung ihresgleichen. Ein mächtiger Abschluss für dieses besonderen und denkwürdigen Abend am Fuße des Vesuv.