Nick Cave kehrte mal wieder mit seinen Bad Seeds zurück an seinen zeitweisen Wohnort Berlin. Diesmal sogar im Doppelpack, aber dazu später mehr.

Wir sahen Nick und seine Bad Seeds zuletzt 2017 in der Max-Schmeling-Halle. Das Konzert damals war so großartig, dass wir uns einige Jahre schlicht nicht trauten, beispielsweise das für die Wuhlheide angesetzte Konzert (das dann später auf der Waldbühne stattfand) zu besuchen. Es konnte eigentlich nur schlechter werden, als dieser grandiose Abend in der Max-Schmeling-Halle.

2024 hatten wir wieder Mut Tickets zu buchen. Die Spielstätten waren inzwischen gewachsen. Nun residierte man in der Uber-Arena (ehemals Mercedes-Benz-, davor O2-Arena). Den Tourauftakt in Oberhausen mieden wir bewusst, denn die generelle Erfahrung zeigt: Gebt einem Künstler lieber ein paar Konzerte, um sich richtig warm zu spielen auf einer Tour.

From Her to Eternity

Um es vorweg zu nehmen: Die Sorge war unbegründet. Wir erlebten zwei überwältigende Abende. Zwei weitere Messen in Berlin. Energiegeladene Abende voller Emotionen, an die man sich noch lange erinnern wird. Dazu später mehr. Handeln wir kurz die Eckpunkte ab:

Das Lichtdesign dieser Tour ist wieder wunderbar. Bis weit über die Hallenmitte hängen die Lichttraversen über dem Publikum. Nick Cave scheint einen kleinen Peilsender zu tragen, über den ihn die Spots von diesen Traversen aus stets verfolgen. Menschliche Spotlight-Operatoren gibt es hier nicht mehr. Die große LED-Wand im Bühnenhintergrund wird nur dezent eingesetzt. Oft bleibt sie dunkel, sonst kennt sie zwei primäre Motive, die meist in schwarz-weiß gezeigt werden: Der Meister und sein Publikum oder Warren Ellis. Ergänzend dazu gibt es rechts und links der Bühne zwei kleinere LED-Leinwände, die Closeups der Band für die hinteren Reihen zeigen. Animationen gibt es hier gar nicht zu sehen. Das höchste der Gefühle sind die cleanen 3D-Schriften mit Textfragmenten aus dem neuen Album.

Ein Gospelalbum wurde Wild God in vielen Rezensionen genannt. Konsequent wurde die Band auch um ein paar Gospelsänger ergänzt.

Zusammen mit der breiten Percussionsabteilung sorgen sie für einen breit aufgestellten Sound, aus dem Nicks Piano herausperlt.

Auffällig auch, wie wenig gitarrenlastig der Sound der Band ist. Zwar läuft fast immer eine akustische Rhythmusgitarre mit und Warren Ellis greift neben seiner Geige öfter zur Gitarre, sorgt aber mehr für die Breite des Sounds. Das war es dann aber meist auch. Das Konzept des Rock-Gitarrensolos ist aber an ihm vorbei gegangen, auch wenn er bei Mercy-Seat einen kurzen Ansatz wagt, der aber schnell im Sande verläuft. Macht nix, am Sound gab es nicht zu meckern, die jahrelang eingespielten Bad Seeds liefern eine hymnengerechte hochdynamische Soundwand ab. Das ganze mehr als geschmackvoll und durchdacht beleuchtet.

Im Meer der Hände

Der knapp 50cm breite Steg an der Oberkannte der vorderen Absperrung zum Publikum ist seine Bühne. Sicher nicht DIN-gerecht ohne Absturzsicherung, aber das ist Nick wohl schon seit Jahren egal. Dieses Bühnendetail ist eines seiner Markenzeichen. Es schafft die ikonischen Bilder von ihm im Meer der Hände, die sich ihm gierig entgegenstrecken, wenn er seine Geschichten erzählt, predigt, mit „Yeah, yeah, yeah…“ oder „You’re beautiful“ das Publikum anbrüllt.

Nur eine kleine Brücke in Bühnenmitte verbindet den Steg mit der Hauptbühne. Hierüber hetzt er zwischen Strophen und Refrains mit blindem Gottvertrauen zwischen Piano und Steg hin und her, das Mikro wird dabei meist achtlos fallen gelassen, was der Mann am Soundboard gar nicht erst versucht zu vertuschen. Zwischendurch nimmt er sich noch die Zeit, einen Unterarm, der lange nicht gewaschen werden wird, zu signieren. Resultat: Man vergisst den Text und muss neu ansetzen. Das passiert selbst einem Nick Cave.

Songs von Verlust, Verderben und Verdammnis.

Cave ist ein unglaubliches Energiebündel, eigentlich ständig in Bewegung auf der Bühne, schreit seine Dämonen heraus, klagt, fleht, predigt und erzählt seine Geschichten von Verlust, Verderben und Verdammnis. Dabei ist er ein großartiger Geschichtenerzähler, findet klare Worte, keine verschwurbelten Texte mit mehrfach verschachtelten Metaphern aus irgendwelchen Assoziationsworkshops, wie man es leider hier und da immer mehr bei anderen Künstlern findet, die Probleme haben auszudrücken, was sie eigentlich sagen wollen.

Nachdem er das Konzert mit zwei neuen, beeindruckend mächtigen Nummern (Frogs und Wild God) eröffnet hat, die bei anderen Künstlern schon Zugabenmaterial wären, setzt er gleich mit Knallern wie O Children, Jubilee Street und From Her to Eternity nach, streut immer wieder geschickt neues Material ein, das man jeweils an den 3D-Textfragment-Einblendungen auf der großen Leinwand erkennt. Zehn Stücke vom neuen Album Wild God wird er an beiden Abenden spielen. Ohne die Texteinblendungen würden sie zwischen dem anderen Material kaum auffallen: Alles starke Live-Stücke. Rückblickend wird einem nochmal bewusst, wie großartig das Album ist. Der Rest der Setlist setzt sich aus allen möglichen Alben der Band, quer durch alle Schaffensphasen zusammen. Nicht mehr als einen Song gibt es allerdings von den jeweiligen Alben zu hören.

Mit Tupelo lässt Cave die Halle beben. Am ersten Abend widmet er den Song seinem Protagonisten Elvis, am zweiten Abend dem am Tag zuvor verstorbenen Kris Kristofferson, der auch in den Zeilen des erstens Songs des Abends (Frogs) vorkommt.

Zu Beginn des letzten Drittels mehren sich die Hymnen und Klagelieder in der Setlist. Dies ist Nicks persönlicher Part. Dabei auch der neue Song O Wow O Wow (How Wonderful She Is), der Anita Lane, einem früheren Mitglied der Bad Seeds aus alten Berliner Zeiten, gewidmet ist. Der einzige Song, bei dem auf der Leinwand auch altes Bildmaterial eingespielt wird.

Ein Song wie I need you schnürt einem dabei die Kehle zu, wenn er mit einem flehentlichen Just breath, just breath…, just breath…, just breath…“ im Dunkel ausfadet. Rückblickend möchte man aber keinen der Songs missen.

Final Rescue Attempt

Ursprünglich war ein Konzert am Sonntag in Berlin angesetzt, das auch schnell ausverkauft war. So schob man ein zweites Konzert am Montag nach. Der Verkauf dazu lief ok, mehr nicht. Am Ende wurde der Oberrang gar nicht verkauft sondern abgehängt. Dann kam für mich ein dienstlicher Termin am Dienstag in Berlin ganz gelegen hinzu. Der erste Abend wurde in der klassischen SRT-Besetzung absolviert, die sich am Montag allerdings zum Radtraining nach Mallorca oder zur Bandprobe verabschiedete.

Also holte ich mir Verstärkung in Form von Oliver, der ein paar Sonderangebote von Resttickets für nur 23 Euro (!!!) im Unterrang für den Montagabend entdeckt hatte. Am Vorabend saßen wir für knapp 90 Euro direkt gegenüber der Bühne im Unterrang und hatten eine minimale Sichtbehinderung durch einen Kabelbaum, der von der Hallendecke zum Mischpult herunterhing. Am zweiten Abend saßen wir für die 23 Euro zwei Blocks weiter auf gleicher Höhe tatsächlich besser. Glück muss man haben.

Zwei Abende einer Band nacheinander sind immer interessant, wenn man die feinen unterschiedlichen Nuancen der Abende erkennt. Hier fällt auf: Die Ansagen variieren deutlich zwischen den beiden Abenden. Andere Künstler haben fix Positionen im Set, reißen gar jeden Abend den gleichen Gag an der gleichen Stelle. Nicht so bei Nick Cave. Hier gibt es jeden Abend bei anderen Songs eine kurze Hintergrundinfo oder Geschichte. Erst am zweiten Abend wird beispielsweise die Dresdner Straße in Kreuzberg als Entstehungsort des folgenden Songs erwähnt, dafür wurde am Vorabend ausführlicher über Anita Lane gesprochen.

Die Setlist im Zugabenteil wurde für den zweiten Abend etwas durcheinander gewürfelt. So gab es mit Henry Lee eine Murder-Ballad, dafür musste Final Rescue Attempt entfallen. Das Konzert endet nun statt mit dem The Weeping Song mit As the Waters Cover the Sea, was durchaus auch ein würdiger Abschluss ist.

Setlist 29. September

Frogs

Wild God

Song of the Lake

O Children

Jubilee Street

From Her to Eternity

Long Dark Night

Cinnamon Horses

Tupelo

Conversion

Bright Horses

Joy

I Need You

Carnage

O Wow O Wow (How Wonderful She Is)

Final Rescue Attempt

Red Right Hand

The Mercy Seat

White Elephant

Encore:

Palaces of Montezuma

Papa Won’t Leave You, Henry

Encore 2:

Into My Arms

As the Waters Cover the Sea

The Weeping Song

Setlist 30. September:

Frogs

Wild God

Song of the Lake

O Children

Jubilee Street

From Her to Eternity

Long Dark Night

Cinnamon Horses

Tupelo

Conversion

Bright Horses

Joy

I Need You

Carnage

O Wow O Wow (How Wonderful She Is)

Red Right Hand

The Mercy Seat

White Elephant

Encore:

Palaces of Montezuma

Papa Won’t Leave You, Henry

Henry Lee

The Weeping Song

Encore 2:

Into My Arms

As the Waters Cover the Sea