Die Mehrklassengesellschaft auf Schalke
Um es kurz zu machen: Die Rolling Stones haben abgeliefert. Punkt. Obwohl die Voraussetzungen alles andere als gut waren: Der Tod von Charlie Watts, teilweise absurde Ticketpreise und eben die Arena auf Schalke, die nicht nur für mich nie zu einem tollen Konzertort werden wird.
Trotz der widrigen Umstände hatten Jagger und Co. das Publikum vom ersten Song an voll im Griff. Nach einem kurzen Video-Intro, mit dem man Charly Watts huldigte, ging es mit Street Fighting Man und Let’s Spend the Night Together gleich mit 1A-Klassikern los, gefolgt von Tumbling Dice und Out of Time, einem Song, den die Stones zwar schon 1966 veröffentlicht hatten, der es bis zu dieser Tour aber nie ins Live-Repertoire geschafft hat. Das Publikum war sofort auf Betriebstemperatur.
Auch auf den teuren Sitzplätzen im Innenraum saß niemand mehr während des ganzen Konzerts.
Danach kam der Mix-Teil der Setlist, der gerne variiert wird. Mit Wild Horses war man hier gut bedient, auch wenn ich Ruby Tuesday oder She’s a Rainbow auch gern gehört hätte.
Die erste kleine Stimmungsbremse war dann leider der neuste (Corona-)Song der Stones Living in a Ghost Town, der noch zusammen mit Charly Watts entstand. Den hatten viele im Publikum leider noch nicht auf dem Schirm, obwohl es ein ganz passabler Song ist. Mit Honky Tonk Women drehte man die Stimmung vor dem ersten kleinen Break, der Bandvorstellung, wieder um.
Die Pflicht war nun erledigt, es folgte die Kür, die dann doch eher etwas für die wahren Stones Fans und die Band selbst, als für die breite Masse mit ihren Stones-T-Shirts und Bierbechern war. Das waren erst einmal zwei Solo-Songs von Keith Richards. Mit Slipping Away und Connection erwischten wir hier auch zwei seltene Exemplare.
Miss You
Dann kam Mick mit einer Stratocaster zurück auf die Bühne und die Band legte eine grandiose Version von Miss You aufs Parkett. Schon beim 1989er Atlantic City Konzert liebte ich diesen Song. Ebenso wie beim folgenden Midnight Rambler konnte man hier die unglaubliche Spielfreude der Band erkennen. Magisch.
Danach ging es wieder zurück an die Arbeit im Dienste der breiten Masse: Paint It Black, Start Me Up, Gimme Shelter und Jumpin’ Jack Flash schlossen das Main-Set würdevoll ab. Zwischendurch drehte das Personal am FOH den Regler von Keith’s Gitarre mal auf 11, um mit den Anfangsakkorden ein deutliches Zeichen zu setzen.
Als es nach Jumpin’ Jack Flash dann plötzlich schon “Auf Wieeetersähennnn” hieß, guckte man auf die Uhr und stellte verwundert fest, dass schon 110 Minuten rum waren.
Es folgten eine passable Version von Sympathy for the Devil (habe ich vermutlich zu oft gehört), gefolgt von einer erstaunlich guten Version von Satisfaction als Zugabe. Zwei Stunden, die wie im Flug vergangen sind. Perfekt.
Time is on my Side
Zwei Jahre Corona-Pause haben das Alter von zahlreichen Künstlern, deren Konzerte wir dieses Jahr besuchen, in beachtliche Höhen verschoben, bei denen man früher nicht mehr auf Tour gegangen wäre. Nick Mason (78), Bob Dylan (81) und Ralf Hütter (75) machen noch einen recht fitten Eindruck, während der recht junge Phil Collins (71) bereits mit Krückstock auf die Bühne kam und das Konzert im Sitzen absolvierte.
Robert Plant (73) verzichtet inzwischen darauf, den Mikrophonständer auf der Bühne durch die Gegend zu wirbeln. Mick Jagger, der am Vortag seinen 79 Geburtstag feierte, gockelt wie eh und je über die Bühne. Auch Keith Richards (78) und Ronny Wood (75) schaffen es noch, ihre Gitarren ein paar Mal zur B-Stage und zurück zu schleppen, auch wenn Keith zuweilen etwas orientierungslos wirkte, aber das ist ja keine Neuigkeit.
Steve Jordan nimmt auf dieser Tour den Platz des verstorbenen Publikumslieblings Charly Watts ein. Kein leichter Job, doch er meistert ihn hervorragend. Jordan versucht nicht krampfhaft Watts zu kopieren, spielt oft etwas knackiger, was dem Sound der Band gut tut.
Bühnenbaukunst, wo bist Du geblieben?
Boshaft könnte man sagen, dass der Tod von Mark Fisher fast einen größeren Einfluss auf die Stones Tournee hat, als der Tod von Charly Watts. Die Bühne der Stones ist kurz gesagt langweilig. Sie besteht aus einem Standardkasten, aus dem Systemregal eines großen Bühnenanbieters mit einer davor geklatschten exzessiven Laubsägearbeit, die oben von einer netten Lichterkette garniert wird, und zwei Großbildschirme einrahmt. Dazu noch die übliche B-Stage ins Publikum, die man auch braucht, um vorne mehr teure Plätze in Bühnennähe verkaufen zu können (s. u.). Vorbei die Zeiten der Steel-Wheels-, Voodoo-Lounge- oder Bridges-to-Babylon-Tourneen, die sich mit den Bühnen von U2 und Pink Floyd um die Vorherrschaft im Stadionrock stritten. Alle arbeiteten damals mit Fisher/Park zusammen. Heutzutage betreiben vermutlich nur noch Rammstein den Aufwand, mit spektakulären Stadion-Bühnen auf Tour zu gehen.
Zurück zum Sound: Zucchero als Vorband lies bereits Schlimmes befürchten. Die Arena-auf-Schalke ist durch ihre Dachkonstruktion nicht gerade berühmt für guten Sound. Schon damals beim U2-Konzert 2005 hatten wir hier ein mäßiges Sounderlebnis. Die Stones sind ebenfalls nicht so berühmt für guten Sound. Oliver erinnerte in der Umbaupause an das Sounddesaster auf dem Expo-Gelände 1998 in Hannover. So gab es dieses Mal auch Licht und Schatten, nicht nur optisch auf der Bühne, sondern ebenfalls was den Sound angeht. Bei Songs, die von Bläsern und Backgroundsänger:innen begleitet werden, entsteht schnell ein Soundbrei. Viel besser wird es, wenn die Songs sparsamer arrangiert sind.
Erlösmaximierung durch Mehrklassengesellschaft
Von der Setlist und Band-Performance her war das Konzert gelungen, der Sound hatte noch Luft nach oben, das befürchtete Verkehrschaos bei der An- und Abreise blieb auch aus. Ein toller Abend demnach, aber zu welchem Preis im Jahre 2022? 168 Euro hat unser Ticket im Oberrang, Block 51, mit guter Sicht auf die Bühne gekostet. Im Unterrang bezahlt man auf den Tribünen 240 Euro. Die besten Sitzplätze auf der der Bühne gegenüberliegenden Tribüne blieben reihenweise leer. Hoffen wir, dass sich hier die Ticket-Scalper verzockt haben.
Im Innenraum haben die Veranstalter Erlösmaximierung betrieben, die die Mehrklassengesellschaft auf Schalke schnell sichtbar machte. Die Stehplätze direkt vor der Bühne wurde als Diamond-Pit für rund 550 Euro vermarktet. Dahin, um die B-Stage herum, gab es Sitzplätze zu ähnlichen Preisen. Hinter einer Barriere gab es dann die privilegierten Stehplätze (Silver Pit) für rund 155 Euro, die sich den Platz mit zwei fetten FOH-Bereichen teilen mussten. Wer nur 115 Euro für eine Stehplatzkarte ausgeben wollte, durfte sich im völlig überfüllten hinteren Bereich des Innenraums zwischen Toiletten und Bierständen ein Plätzchen suchen.
Als die Band ihr 50. Bühnenjubiläum feierte, fanden wir das schon beachtlich. Nun haben wir die Tour zum 60. Jubiläum miterlebt. Da muss man wohl mit solchen Preisen rechnen. Wir sind gespannt, welche Preise Roger Waters (78) 2023 aufruft, wenn es ihn zu seiner letzten Tour nach Europa verschlägt.
Setlist:
Street Fighting Man
Let’s Spend the Night Together
Tumbling Dice
Out of Time
Wild Horses
You Can’t Always Get What You Want
Living in a Ghost Town
Honky Tonk Women
Slipping Away (Keith Richards)
Connection (Keith Richards)
Miss You
Midnight Rambler
Paint It Black
Start Me Up
Gimme Shelter
Jumpin’ Jack Flash
Encore:
Sympathy for the Devil
(I Can’t Get No) Satisfaction
Danke für den Bericht, Ich sehe vieles ähnlich.
Der miserable Sound hat vieles zerstört und naja und in Sachen Stimmung könnte noch mehr drin sein. Ich war zum ersten Mal auf Schalke und das Stadion ist ungeeignet für den Klang. Punkt.
Stones haben geliefert was gewünscht wurde. Berlin vor 4 Jahren war besser in jeden Punkt leicht.
Wenn man sich die verschiedenen Youtube-Aufnahmen und andere Audiomitschnitte anhört, wird man feststellen, dass es auch nicht an der Position in der Halle lag. Der Sound war überall schlecht.