In diesem Jahr startet die Tour de France in Düsseldorf. Da war es nur logisch, dass die großen Düsseldorfer Radfanatiker von Kraftwerk in den Ehrenhof ihrer Heimatstadt einluden, um ihr Tour de France Album zu spielen, so wie sie es auch schon vor zwei Jahren in Utrecht erfolgreich praktiziert hatten.
Auf dem Weg vom Bahnhof zum Ehrenhof lief das SRT-Team teilweise direkt an der Strecke der Etappe 1 vorbei, und musste diese auch mehrmals überqueren. Die Strecke verlief auch direkt an der Tonhalle und dem Ehrenhof und somit hinter der Bühne. Da das Rennen zeitgleich zur Anreise stattfand, war es das perfekte Rahmenprogramm, für das Konzert, obwohl das Konzert laut Programmheft tatsächlich zum Rahmenprogramm der Grand Départ gehört. Alles eine Sache der Sichtweise.
Der Regen hat an diesem Tag nicht nur Tony Martin am Sieg gehindert, sondern auch viele Konzertbesucher in lustig anzuschauenden Plastikponchoträger verwandelt. Pünktlich zum Konzertbeginn hörte der Regen allerdings auf und der Himmel klarte auf.
Nach dem Regen kommen Air
Als Vorband hat sich Ralf Hütter ganz passend die französischen Elektro-Pop-Pioniere Air ausgesucht. Sie schleppten eine Menge altes, analoges Equipment unter anderen von Moog und Korg auf die Bühne, das die Herren von Kraftwerk früher vermutlich auch genutzt haben, inzwischen aber auf die digitalen Versionen auf ihren Computern setzen.
Die beiden Franzosen erfüllten zusammen mit ihren beiden Mitmusikern hervorragend den Auftrag, dem Abend ein französisches Flair zu verleihen. Nicolas Godin strahlt dabei das typische Klischee eines französischen Künstlers aus, der es sich nach seinen ersten Erfolgen an der Côte d’Azur etwas zu gut hat gehen lassen und nun froh ist, wieder vor Publikum auf der Bühne zu stehen. Sehr sympathisch stellt er sich auch gleich als „I’m a french robot“ vor.
Sein Kollege Jean-Benoît Dunckel hingegen hat die Zeit damit verbracht, sich die Haare ins Gesicht wachsen zu lassen und Schauspielunterricht im „möglichst arrogant und gelangweilt ins Publikum zu gucken um den Eindruck zu erwecken, man gehöre besser auf eine Modenschau in Paris als auf eine Bühne vor diesem Publikum“ zu nehmen. „Na dann spiel doch Sexy Boy“ wollte man ihm entgegenrufen. Das tat er dann auch, und schon war sowohl sein Blick als auch der bis dahin nur mäßig inspirierte Auftritt vergessen. Air schlossen ihr Set mit einer grandiosen Version von La Femme d’Argent ab, die das Publikum in die richtige Stimmung für den Auftritt von Kraftwerk versetzte.
Der Ehrenhof rüstet auf
Für diesen speziellen Auftritt hatten die Kraftwerk-Techniker lange Traversen an den Seiten des Ehrenhofs errichten und mit zusätzlichen Scheinwerfern und Lautsprechern versehen, um den per Wellenfeldsynthese erzeugten 3D-Klang zu realisieren und den Hof später ansprechend zu illuminieren. Schon beim Auftritt von Air konnte man ahnen, dass unter der Bühne auch ein paar zusätzliche Subwoofer verbaut wurden. Wieviel mehr es waren, merkte man dann bei basslastigen Stücken wie Man Machine oder dem Tour de France Zyklus. Der Bass lies den Brustkorb beben. Klar und unglaublich heftig wie selten zu hören schüttelte er die letzten Regentropfen von den Multifunktionsjacken der Zuschauer.
Damit auch alle Zuschauer in dem schlauchförmigen Ehrenhof an dem Erlebnis teilhaben konnten, hingen neben der Bühne und im hinteren Bereich Videoscreens, die nicht nur die Animationsfilme zeigten, sondern auch – man glaubt es kaum – Aufnahmen der vier Kraftwerker bei der Arbeit.
Eine Premiere feierte an diesem Tag auch eine spezielle LED-Wand für die 3D-Projektionen, die die sonst üblichen Beamer ablöste. Zum Ende des Konzertes war sie allerdings von roten Pünktchen, falsch angesteuerter oder fehlerhafter LED-Pixel übersät.
Es steckt doch noch Mensch in der Mensch-Maschine
Die vom Autor kürzlich beklagte Entmenschlichung der Mensch-Maschine durch den aktuellen Konzertfilm fand an diesem Abend nicht statt. Die Musiker hatten offensichtlich Spaß an ihrem Auftritt vor 15.000 Zuschauern in ihrer Heimatstadt um ihr heißgeliebtes Hobby, das Radfahren zu feiern. Fritz Hilpert und Henning Schmitz, scherzten auf der Bühne offen miteinander.
Dass die vier Musikarbeiter die zahlreichen Sounds täglich neu auf der Bühne zusammenmixen, merkte man bei Stücken wie Radioaktivität, das an diesem Abend etwas holprig daher kam, oder Aerodynamik, in dem nochmals deutlich die extra für diesen Abend aufgefahrene Subwooferbatterie vorgeführt wurde.
Auch die Grafikabteilung war wieder flexibel. Das Spacelab landete standesgemäß unter großem Applaus der Zuschauer vor der Tonhalle. In das Videomaterial zur Tour de France Sequenz wurden am Ende noch tagesaktuelle Aufnahmen von Tony Martin auf seinem nagelneuen Rennrad im Kraftwerk-Grid-Look hinzugefügt.
Auch der gute alte TEE durfte an diesem Abend nach langen Jahren des Vergessens (oder war es ein Verdrängen?) zur Feier des Tages wieder in den Hauptbahnhof seiner Heimatstadt einlaufen und von David Bowie und Iggy Pop begrüßt werden. Schon fast schüchtern und von den meisten Zuschauern unbemerkt murmelte Hütter diese lange nicht mehr gehörte Textzeile ins Mikro.
Ein Abend wie dieser zeigt das auf, was eine streng Regie und Schnitt zwar aus einem Konzertfilm verdrängen können, in der der Live-Realität aber unübersehbar ist: Die Mensch-Maschine hat wieder gemenschelt.
Setlist AIR, Düsseldorf Ehrenhof 1. Juli 2017:
1. Venus
2. Don’t Be Light
3. Cherry Blossom Girl
4. Remember
5. Playground Love
6. People in the City
7. Alpha Beta Gaga
8. How Does It Make You Feel?
9. Kelly Watch the Stars
10. Sexy Boy
11. La Femme d’Argent
Setlist Kraftwerk, Düsseldorf Ehrenhof 1. Juli 2017:
1. Numbers
2. Computerwelt
4. Computerliebe
5. Die Mensch-Maschine
6. Spacelab
7. Das Modell
8. Autobahn
9. Tour de France 1983
10. Tour de France Étape 1
11. Chrono
12. Tour de France Étape 2
13. La Forme
14. Vitamin
15. Nachrichten
16. Geigerzähler
17. Radioaktivität
18. Trans Europa Express
19. Die Roboter
20. Aéro Dynamik
21. Boing Boom Tschak
22. Techno Pop
23. Musique Non Stop