Was liegt näher, als auf der alten TEE Strecke zwischen Hamburg und Wien zum TEE-Konzert anzureisen. Obwohl auf einigen östereichischen Bahnseiten noch vom Trans-Europa-Express gesprochen wird, verkehrt hier nun offiziell der ICE 90/91. Egal, die Reise zu den 2014er Kraftwerk-Konzerten nach Wien traten wir standesgemäß per Bahn an.
Das Kraftwerk in der Burg
Nach dem MoMa in New York, der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf, der Tate Modern in London und zahlreiche anderen beeindruckenden und ungewöhnlichen Veranstaltungsorten, haben sich Kraftwerk das Burgtheater in Wien ausgesucht, um ihren Katalog zu präsentieren. Alte Herren, die alte Alben komplett spielen und dabei Tickets verkaufen, dass einem schwindelig wird? Moment, das kennen wir doch schon von Roger Waters und Peter Gabriel!
Sowohl Waters, Peter Gabriel als auch Kraftwerk gehen hier alle in die gleiche Richtung. Das Lebenswerk wird als perfekte Show inszeniert, bei der jedes Detail durchdacht und geplant ist. Ähnlich wie jemand, der seinen eigenen Wikipedia-Eintrag schreibt, wird hier von allen drei Künstlern hart am eigenen Bild gearbeitet. Exzessives Touren im Rentneralter scheint a) Spaß zu machen und b) auch Mittel zum Zweck zu sein um sich in die Erinnerung vieler Menschen so einzubrennen, wie man es selber gerne hätte. Alle drei fühlten sich ja möglicherweise in den “kreativen” Phasen ihrer Karriere oft irgendwie missverstanden. Jetzt gibt ihnen der späte, neue Erfolg nochmals eine gewaltige Ego- und Gelddusche – die ich allen gönne. Also ab in die Burg.
Als wir der Wellenfeldsynthese im Weg standen
Neben dem Primären PA-Stack ist der Sound bei Kraftwerk auch ein 3D Sound. Hier gibt es aber keinen einfachen Quadrophonie oder 5.1 Mix. Hier wird ein Soundsystem eingesetzt, das auf der Theorie der Wellenfeldsynthese beruht. Rund 30 kleinere Lautsprecher sind dazu rund um die Zuschauer verteilt. Digitale Signalprozessoren rechnen die Soundsignale von der Bühne so um, dass sie exakt an bestimmten Stellen oder auf bestimmten Wegen im Raum positioniert werden können. Am Mischpult werden Sounds während des Konzertes live über zwei iPads durch den Raum „gewischt“.
Eine genau Positionierung und Einmessung der Lautsprecher ist in jedem Veranstaltungsort dazu unumgänglich. Blöd nur, wenn Sie auf den nummerierten Stehplätzen in der Gallerie stehen, die die Tageskasse soeben an die Sigge-Rocktours Crew verkauft hatte. Extrem entspannte und freundliche Mitarbeiter des Burgtheaters telefonieren unentwegt, suchen erfolglos andere freie Plätze.
Fünf Minuten bis zum Konzertbeginn. Plötzlich stehen vier Leute der Kraftwerk Soundcrew neben uns und werden mit dem Wunsch der Feuerwehr konfrontiert, die Lautsprecher einen halben Meter zu verschieben. Nach kurzer Diskussion wird entschieden, dass eine Verschiebung um einen Meter vertretbar ist. Die Burgtheater Crew ruft ein paar Leute mit “Fixerln“. Die hochdeutsche Fraktion rätselt, ob Kabelbinder oder Gaffertape gemeint ist, wird dann mit klassischen kurzen Stricken überrascht, mit denen die Stative am Geländer angebunden werden. Pünktlich zum Konzertbeginn können wir die Stehplätze einnehmen, und den Auftakt zu vier Konzerten im Burgtheater genießen.
Vier Konzerte in zwei Tagen
Das ist für viele Leute aus dem persönlichen Umfeld schon erklärungsbedürftig. Kraftwerk machen es einem hier leicht, schließlich wird ja in jeder Show ein anders Album komplett gespielt. Dass das manchmal in weniger als einer halben Stunde erledigt ist, verschweigt man besser.
Tatsächlich könnte man den Eindruck haben, dass das Konzept „ein komplettes Album je Show plus Stücke aus dem Katalog“ nur ein Vorwand ist, acht Konzerte hintereinander an einem Ort zu spielen. Die Alben werden nicht wirklich komplett gespielt, Teileweise nicht einmal in der Originalreihenfolge des Albums. Hört man die Alben (und) Texte im Original, versteht man, dass ein Kürzen den Werken gut getan hat. Dazu kommt, dass Fragmente eines Albums oft im Best of Teil einer anderen Show sich deutlich besser entfalten. Die Kombination von Ätherwellen, Nachrichten und Radioaktivität in der TEE Show wirkt deutlich überzeugender als die eigentliche Radioaktivität-Show. In der Kurzversion wird die Idee des Albums viel Deutlicher. Radiowellen übertragen Sprache und Musik, dann berichten die Radionachrichten über den Bau neuer Kernkraftwerke, schließlich zeigen Geigerzähler und Radioaktivität die grausamen Folgen der Kernenergienutzung durch Strahlung auf.
Schon in Düsseldorf erlebten wir im Best Of -Teil des Computerwelt-Konzertes nochmals das komplette Mensch Maschine Album. Schon sind wir irgendwo in der Nerd-Ecke. Na und? Man entdeckt von Konzert zu Konzert neue Details, hier und da auch mal einen kleinen Fehler, der die Roboter nicht nur menschlich werden lässt. Dem aufmerksamen Zuschauer wird bewusst, wie viel die Musikarbeiter tatsächlich auf der Bühne arbeiten.
All diese Feinheiten und Entdeckungen lassen auch das vierte Konzert innerhalb von zwei Tagen noch interessant und spannend wirken.