David Bowies aktuelles Album The Next Day spielt schon durch die Covergestaltung auf eines seiner älteren Meisterwerke an, das Album Heroes aus dem Jahr 1977. Die erste Singleauskopplung Where are we Now? zählt verschiedene Fixpunkte aus Bowies Berliner Zeit auf. Wenn das keine Aufforderung ist, sich tiefgehender mit Bowies Berliner Phase zu beschäftigen, der gemeinhin die drei Alben Low, Heros und Lodger zugerechnet werden. Sie stellen einen wichtigen Meilenstein in Bowies Karriere und einer der bedeutsamsten Richtungswechsel seines musikalischen Schaffens dar.
Großartig beschrieben ist diese Zeit in Tobias Rüthers Buch Helden – David Bowie in Berlin. Das Buch beginnt 1976 in Los Angeles. Bowie, der Thin White Duke ist ein Drogenwrack, ernährt sich primär von Paprika, Milch und Kokain.
Nach seinem erfolgreichen Album Station To Station spielt er die Hauptrolle in dem Film The Man Who Fell To Earth. Der Versuch ein Soundtrack Album für den Film zu schreiben scheitert. Bowie muss etwas ändern, raus aus LA. Inzwischen ist er Fan von Kraftwerk geworden und bewundert deutsche Expressionisten. Das logische Ziel heißt Berlin. Zusammen mit seinem Freund Iggy Pop tritt er die Reise über Paris nach Berlin an und bezieht gemeinsam mit ihm eine Altbauwohnung in Berlin Schöneberg. Gemeinsam mit Brian Eno und Tony Visconti entstehen in den kommenden Jahren nicht nur Bowies Berlin Trilogie, sondern auch die Alben The Idiot und Lust For A Life von Iggy Pop.
Ebenso detailversessen wie Christoph Geisselhart in seiner Maximum Rock Reihe, hinterfragt Tobias Rüther zahlreiche Legenden und Geschichten rund um die Entstehung der Berliner Alben. Viel zu Berichten gibt es da über die Inspiration zu den Textzeilen des Songs Heros und der Entstehung der von Robert Fripp eingespielten Gitarrenparts in eben jenem Song.
Er nimmt den Leser auch an die Hand und zeigt teilweise Ton für Ton auf, wo die Geschichte der Popmusik eine Wendung nimmt – z.B. mit den ersten Soundfetzen von Speed of Live auf Low. Dabei führt er uns „jüngeren“ Lesern nochmals vor Augen, dass Alben damals als LPs mit zwei Seiten konzipiert wurden. Low ist ein Werk mit zwei Gesichtern, in dessen zweiter Hälfte der (alte?) Bowie langsam verschwindet und kaum noch zu hören ist.
Dieses Buch fesselt nicht nur beim Lesen, sondern lässt einen unweigerlich nicht nur die drei Alben der Berliner Trilogie, sondern auch den Vorgänger Station To Station wieder herauskramen und mit ganz anderen Ohren neu entdecken. Lesen und neu hören!