Pünktlich um 9.37 Uhr setzte sich der „Berlin-Warszawa-Express“ vom Gleis 12 des Berliner Hauptbahnhofes in Richtung Poznan in Bewegung.
Sigge Rocktours hatte sich nach den fulminanten Katalogabenden von Düsseldorf im Januar diesen Jahres (wir berichteten) für ein weiteres Liveerlebnis der Düsseldorfer „Oh Man, Oh Machine“ -Musikarbeiter entschieden.
Das uns bislang unbekannte Malta-Festival im nahegelegenen Poznan, welches von Berlin in ca. 3 Stunden mit dem Zug zu erreichen ist, bot eine gute Möglichkeit Kraftwerk live zu erleben , einen Eindruck des Festivals zu erhalten und Stadt und Menschen kennenzulernen.
Das Festival ist eine Mischung aus Film, Musik, Theater, Dance, Fotografie, Workshops, etc. welches sich in der Stadt von Juni bis Juli erstreckt.
So präsentieren sich neben bekannten internationalen Music-Acts ( u.a. Thom Yorke, Cat Power, Kraftwerk, u.a.) auch viele nationale Künstler aus allen Kultursparten. Das Idiom ( „Oh Man, Oh Machine“) der Veranstaltungen sowie die Visualisierungen und das Design des diesjährigen Festivals, standen jedoch ganz im Zeichen von Kraftwerk!
Die 6-köpfige „Reisegruppe-Poznan“- die „paritätisch“ besetzt war (3 Frauen, 3 Männer)-fuhr mit dem „BWE“ ohne Verspätung in Poznan-Glowny ein.
Unser Hotel, welches im Stadtzentrum lag und auch vom Bahnhof fußläufig zu erreichen war, hatten wir in „Sichtweite“ zum Auftrittsort gewählt und das Einchecken verlief ohne größere Probleme. Das Wetter ließ uns nicht im Stich und wir verbrachten den Nachmittag im alten Stadtzentrum und waren sichtlich beeindruckt von der malerischen Kulisse die sich uns am Marktplatz darbot. Wir stärkten uns in dem sehr zu empfehlenden Restaurant „Cocorico“ (mit einem bezaubernden Innenhof) und die polnische Gastfreundschaft wurde auch dort mehr als deutlich, als uns der Inhaber des Restaurants sein einziges Kraftwerk Poster, welches dort aushing und auf das Konzert aufmerksam machen sollte, als Geschenk mit auf dem Weg gab. Berührend! Gerollt und mit Schleife!
Was sollte da noch schiefgehen!
Wir traten gegen 18 Uhr den Weg zum „Stara Gazownia“ (Altes Gaswerk) an und die Spannung stieg!
All die Fragen die uns im Vorfeld beschäftigten, sollten nun endlich beantwortet werden!
Open Air? Hören wir erstmalig die englischen Song-Versionen live ? Gibt es Änderungen in der Setlist? Wie variieren die Songreihenfolgen? Welche Nuancen im Live-Set können wir bei den Songs zu den Konzerten 2004, 2009, 2013 ausmachen? Spielen sie ein Album komplett? Gibt es einen Zugabeteil? Wir lang dauert das Konzert? U.v.m.
Also all der „Mist“, der uns „Live- Musiknerds“ so beschäftigt!
Nachdem wir artig unsere Tickets vorgezeigt hatten, Einlass begehrten, unsere 3-D Brillen (mit Malta-Festival Schriftzug) ausgehändigt bekamen, Fotos „geschossen“ wurden, betraten wir bei strahlendem Sonnenschein den Innenhof des alten Industriegeländes und erblickten die imposante Live Bühne. Fantastisch! Kraftwerk Open Air- Premiere für Sigge Rocktours!
Ein abgegrenzter Bereich mit Biergartengarnituren lud zum Verweilen ein und wir genossen bei wohltemperierten Getränken die Abendsonne. Herrlich!
Henning und ich sicherten der gesamten Reisegruppe rechtzeitig gute Plätze in Bühnennähe und hatten somit auch das „Glück“ den einzigen Support an diesem Abend, die polnische Band NIWEA (sic), erleben zu dürfen!
2 junge Männer die mit polnischem Sprechgesang und elektronischen Beats das Rund beschallten. Puh! Wir haben außer „Tokyoooo“ und „Luuuuxemburgggg“ kein einziges Wort verstanden und konnten somit nicht- auch nicht ansatzweise- verstehen, was uns die Künstler mit Ihren Texten sagen möchten. Das vorwiegend polnische Publikum war verhalten begeistert. Der Auftritt war insofern bemerkenswert, ( musikalisch konnte er mich auch nicht begeistern) als dass wir auch noch am kommenden Tag davon sprachen, dass die 2 Musiker vor knapp 5000-6000 Kraftwerk Besuchern „ihr Ding“ durchgezogen haben, was mitunter bizarre Züge hatte ( Sänger/Sprecher setzt sich auf Ikea Beistelltisch und blickt starrend in den Abend und macht nichts, stellt sich kerzengerade mit dem Rücken zum Publikum und verharrt so eine zeitlang vor dem schwarzen Vorhang der die Kraftwerk-Mischpulte abdeckt („stille Treppe“?), usw. ) Womöglich korreliert das mit den Texten. Wir wissen es nicht. All das verdient Respekt! Sehr Couragiert!
Die Sonne war fast verschwunden als Punkt 22 Uhr das bekannte Intro „Meine Damen und Herren, Ladies and Gentlemen, heute Abend die Mensch-Maschine-Kraaaaaftwerk“ ertönte. Im Gegensatz zu den bisherigen Konzerten, gab es keinen Vorhang der sich öffnete und die Musikarbeiter preisgab, sondern die 4 Kraftwerker marschierten von rechts auf die Bühne zu Ihren Arbeitsgeräten.
Die verklinkerten und teilweise imposanten Gebäude des alten Gaswerkes wurden von mächtigen Strahlern in ein zartes Violett gehüllt und bildeten einen schönen Kontrast zum dunkelblauen Abendhimmel und den „Farbspielen“ auf den Leinwand während des Konzertes.
Eröffnet wurde das Konzert mit dem „Monolith“ : „The Robots“. Als wir „We’re charging our battery“ hörten, hatten wir prompt die nächste Antwort unseres Fragenkataloges: Es werden die englischen Versionen der Songs heute Abend präsentiert.
Wie schon in Düsseldorf, waren die 3-D Grafiken zu diesem Song sehr beeindruckend und wir waren restlos begeistert.
Dem Opener schloß sich, sehr zu unserer Freude, das komplette Album „Computerwelt/Computerworld“ an mit einer großartigen und in polnisch gesungenen Version des „Taschenrechner/PocketCalculator“ . Die polnischen Fans waren begeistert und sangen kräftig mit. Ein schöner Moment. Ob Besucher der Tour 1981 auch dabei waren? Die „Computerwelt-Welttournee 1981“ führte Kraftwerk auch hinter den „eisernen Vorhang“ und so gaben Sie 8 Konzerte in Polen. Das Sie „Computerwelt/Computerworld“ an diesem Abend komplett gespielt haben, ist sicherlich auch ein Rückblick mit Ihren Erinnerungen an diese Konzerte von vor über 30 Jahren.
Die „ Man-Machine“ kam wie immer wuchtig und mit fetten Beats aus den Boxen und das „Spacelab“ flog über uns hinweg und ich konnte mich grad noch wegducken. Große Momente! Das sich „Metropolis“ nicht sofort anschloß ließ mich aufhorchen, doch ich hoffte, dass sie den Song noch spielen würden.
Weitere Höhepunkte des Sets waren u.a. „Tour de France“ mit den tollen Filmen aus den 50igern und den französischen Texten sowie „Trans Europa Express/Trans Europe Express“ mit „ Metall auf/on Metall“ und einem glasklaren, metallischen Schlagwerksolo, wo uns nicht enden wollende Effekte und Beats um die Ohren flogen, so als wollte uns Kraftwerk an diesem Abend den Songtitel und seine Herkunft nochmals verdeutlichen. Fantastisch!
Mit „Boing Boom Tchak“ leuteten Kraftwerk das nahende Ende des Konzertes ein und für mich immer wieder ein Höhepunkt eines jeden Kraftwerk Konzertes als letzten Song „Musique Non Stop“, wo auch jeder der 4 Musikarbeiter sein DJ-Set (Solo) hat. An diesem Abend hat „der 2. von links „, Henning Schmitz, die Regler, Knöpfe und Phaser derart „maltretiert“ dass wir völlig begeistert seinen Abgang bejubelten. Herausragend. Das mich die Grafiken zu diesem Song immer wieder begeistern, möchte ich auch hier nicht unerwähnt lassen! ( lächelt).
90 min waren wie im Flug verstrichen und Henning meinte zu mir, dass sie in Barcelona beim Sonar Festival (Mitte Juni) nochmals zurückgekommen sind und einen Zugabeteil drangehängt haben. Nach den Katalogabenden 2013 waren wir uns nicht restlos sicher, ob das auch in Poznan geschehen würde, zumal das „klassiche Konzertoutro“ mit BBS/TP/MNS bereits gespielt wurde.
Doch wir hatten Glück!
Mit „Metropolis“ eröffneteten Kraftwerk den Zugabeteil und ich war zufrieden. Dem schloßen sich „Planet der Visionen/Planet of Visions“ und „Vitamin“ (tolle Grafiken in 3 D) an und mit „Aero Dynamik“ fuhren Sie nach insgesamt 120min sicher durchs Ziel!
Ralf Hütter dankte den Zuschauern auf polnisch und entließ das begeisterte Publikum in die Nacht!
Frenetisch wurde Kraftwerk im Scheinwerferspot abseits ihrer Arbeitsgeräte (alle 4 zusammenstehend) gefeiert und Ihnen war die Freude über ein gelungenes Konzert deutlich anzusehen.
„Oh Man, Oh Machine“.
Ich bin mir sicher, Sie müssen die „Reisegruppe Poznan„ klatschend und strahlend gesehen haben!
Völlig ermattet, doch voller Freude ob des Erlebten, traten wir nach Mitternach den Weg ins Hotel an wo wir noch ein Gute-Nacht Getränk einnahmen, bevor der Tag zu Ende ging!
Den Samstag faulenzten wir bis zur abendlichen Abreise am mächtigen, innerstädtischen und dem Festival namensgebenden Malta See bei Sonne und angenehmen Temperaturen.
Die Heimreise im“BWE“ endete wohlbehalten jedoch völlig verspätet in Berlin-Gesundbrunnen und wir tappelten nach Hause. Glücklich und zufrieden!
Was bleibt?
Das Malta Festival und die Stadt Poznan haben uns überzeugt und wir werden bei Gelegenheit dieses Festival gern wieder besuchen! Das Konzert war großartig, wenngleich wir einig darüber waren, dass uns die Songs in deutscher Sprache live besser gefallen und es eben genau diese deutsche Kraftwerk- Sprache ist, die die Eindringlichkeit, Intensität und Melodik der Songs ausmacht was für unser Empfinden, im englischen nicht so zur Geltung kommt.
„Am Heimcomputer sitz ich hier
und programier die Zukunft mir“
Musique Non Stop!
Bis zum nächsten Reisebericht!
Euer Tom
Für die Kraftwerk –Nerds unter uns: hier noch ein paar wichtige und weniger wichtige Erkenntnisse des Konzertes:
- Das „Metropolis“ Intro (25sec.) bis zum einsetzenden Beat war deutlich kürzer als gewöhnlich (minus 1min!)
- Eine sehr schöne Hommage im Song „Radioactivity/Radioaktivät“: Entgegen der Original Textzeile „discovered by Madame Curie“ sang Ralf Hütter „discovered by Marie Curie“ was der bedeutenden Physikerin mit polnischer Herkunft (geboren in Warschau) zuteil wurde.
- Ein weitaus intensiverer und hörbarer Bassdrumbeat im Intro zu “It´s more fun to compute“
- „Planet of Visions“ kam für unser Empfinden weitaus besser in der Poznan Songreihenfolge zur Wirkung als gewöhnlich.
- Schönes Fritz Hilpert Solo am Ende von „Vitamin“
- Fritz Hilpert machte nach seinem DJ-Solo in „Musique Non Stop“ und folgendem Abgang von der Bühne zu Henning Schmitz eine bemerkenswerte und „Kraftwerk-fremde“ Geste , so als wolle er ihm sagen: „Los, dreh auf“. Hat er ja dann!
- Das Splitten der Reihenfolge von „Spacelab/Metropolis“ wurde nachträglich als gut empfunden.
- „Autobahn“ wieder 13min und nicht gekürzt wie 2004, leider kein „Schaufensterpuppen“ im Set
- „The Model“ in englischer Sprache hat uns nicht so begeistert.
- Wir meinen, dass auch ein guter und ggf. besserer Konzertopener ( „Man Machine“ gesetzt) z.B. 1, 2, 3,4 –„Das Modell“ wäre oder gar „Nummern“.
Setlist:
The Robots
Numbers
Computerworld
Heimcomputer
Pocket Kalkulator
Computerlove
The Man Machine
Spacelab
The Model
Autobahn
Tour de France + Tour de France 03
Geigerzähler + Radioactivity
Trans Europe Express+Metall on Metall
Boing Boom Tschak
Techno Pop
Music Non Stop
Zugaben:
Metropolis
Planet of Visions
Vitamin
Aero Dynamik
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