Boys cry for tickets
The Cure standen für 2022 gar nicht auf unserer To-Do-Liste, doch dann postete Werner einen Link zu einem Youtube-Video von einem neuen Song, der mir auf Anhieb gefiel. Am Tag des Berliner Konzertes rauschten dann Bilder vom Konzert in verschiedenen WhatsApp-Gruppen rein. Verdammt, irgendwie kam das Gefühl auf, etwas verpasst zu haben. Die großartige Überschrift „Oma ist zurück, und sie will Blut statt Regen“ der Rolling-Stone-Kritik des Berliner Konzerts gab mir den Rest. Tickets mussten her für eins der nächsten Konzerte. Ein schneller Rundumblick auf die kommenden Tourdaten brachte auch schnell Ernüchterung: praktisch keine Karten mehr zu bekommen. Das Sportpalais in Antwerpen wäre eine Reise wert gewesen, Tickets waren aber nicht mehr zu bekommen. Manchmal lohnt es sich, über den Tellerrand hinaus zu blicken. In der VIP-Sektion ergatterten wir noch zwei Tickets in einer Event-Loge, inklusive Buffet und Getränken. Mal eine ganz neue Erfahrung.
Prayers for Rain
In der ausverkauften Lanxess-Arena läuft ein Schlechtwetter-Tape. Regen und Gewitter ziehen die wartenden Konzertgänger schon mal in eine leichte Herbstdepression hinein. Genau die richtige Stimmung für die kommenden Texte.
Zuvor ließen die ersten Songs der Vorband Schlimmes erahnen. Der Sound war matschig bis schlecht. Bis zum Ende des Sets von The Twilight Sad hatte die Soundcrew die Sache aber im Griff und auch die Vorband auf den The Cure-Sound getrimmt. Die Stimme des Sängers klar im Vordergrund vor einer Wand aus Drums und Keyboardgewummer. Darüber schweben dann klar getrennt die durch diverse Phaser-Pedals gequetschten Gitarren. Irgendwie sind The Cure weder eine klassische Album-Band (wie z. B. Pink Floyd) noch eine Single Band (wie die Rolling Stones). Hier prägen eher Sound und Stimme das Œuvre der Band. Aber es gibt natürlich auch die Hits.
Bei A Forest zündete dann auch beim letzten Drittel der Zuschauer endlich der Funke. Robert Smith hat die Halle in Köln nun vollständig in seiner Hand. Das Konzert entwickelte sich zu einem gut dreistündigen Sog. Hypnotisch nach vorne treibende Beats spülen einen durch den Abend. Ein Freund beschrieb es wie folgt: “Robert hingegen hat die Arena gestern quasi linear hochgefahren und bis zum Schluß immer noch einen draufgepackt. Nach knapp 3 Stunden kocht die Bude dann maximal und er so: “This is the last song. This. Is. The. Last. Song.””
A Fragile Thing
Den Abend eröffnete ein neuer Song namens Alone, in dem wir eine blaue Erde hinter uns verschwinden lassen. Der Hauptteil des Konzerts endet ebenfalls mit einem neuen Stück namens Endsong vom kommenden Album Songs Of A Lost World als Set-Closer optisch untermalt mit einer blutroten dystopischen Erde. Wenn das keine Botschaft im Sinne der The Cure Gemütslage ist.
Erfreulich viele neue Songs finden sich im Set, die sich fast unerkannt zwischen die alten Songs mogeln. Würden wir noch in einer Single- und Alben-Zeit leben, wäre hier durchaus Hitpotential zu finden. Für TikTok taugen die neuen Songs nix, also werden sie primär die alten Fans erfreuen und keine neue Fangeneration erschaffen. Auch gut.
I Can Never Say Goodbye
Bei den Zugaben kommt dann doch wieder die Singleband The Cure zum Vorschein, denn die flogen einem reihenweise um die Ohren. Disintegration, Lullaby in einer vergleichsweise kurzen Version, The Walk, Friday I’m in Love, Just Like Heaven und zum krönenden Abschluss Boys Don’t Cry. Alles, was man im Hauptteil vermisst hatte, wurde zuverlässig nachgeliefert.
Am Ende dieses grandiosen Abends verlässt man aufgedreht die Halle und wundert sich, wie schnell drei Stunden vergangen sind.
Waldorfsalat und Rinderbrust
Zum Abschluss noch ein paar Worte zur Loge: Hat es sich gelohnt, oder fühlte man sich abgezockt wie ein Helene-Fischer-Fan? Mit 177,- € empfand ich das Paket als nicht zu teuer, berücksichtigt man, was z. B. Peter Gabriel oder Roger Waters für ihre nächstjährigen Touren aufrufen. Man kann den vorherigen Besuch in einer Restaurantkette in der Umgebung der Arena und diverse Euros für die überteuerten Getränke, die man so in der Halle gekauft hätte, vom Preis abziehen. In der Loge gab es ein ordentliches kalt-warmes Buffet (an dem ein Vegetarier sicherlich verzweifelt wäre), dazu Bier vom Fass, Sekt, Wein, Wasser und Softdrinks. Angenehm die eigene Garderobe und das WC. Zwischen den Zugaben einen Espresso an den Platz geliefert zu bekommen, ist dann definitiv nicht mehr Rock’n’Roll, aber ganz angenehm, wenn man noch 2,5 h Rückfahrt auf der Autobahn im Regen vor sich hat.
Die Sitzplätze vor der Loge waren äußerst bequem, hatten mehr Bein- und Ellenbogenfreiheit als die üblichen Sitze.
Soweit zu den Rahmenbedingungen. Kommen wir nun zur menschlichen Seite. In unserer gemischten Loge hatten wir Glück. Die 18 Personen waren Fans. In der Nachbarloge hatte vermutlich eine Firma eingeladen. Da wurde während des Konzerts ständig von Alphamännchen Heldengeschichten erzählt, Herrenwitze gemacht, laut darüber gelacht (am meisten über die eigenen) und die begleitenden Ehefrauen ertrugen es stoisch durch hohen Weißweinkonsum. Solch beschämend respektloses Verhalten nicht nur gegenüber den Künstlern, sondern auch den anderen Gästen, die sich für das Konzert interessieren, bekommt man in einer Loge dann leider auch mit. Fazit: Kann man machen, wenn der Preis stimmt, muss man aber nicht zwingend. Hinweis an die Helene Fischer Fans: Schweinefilet gab es keins, dafür reichlich Enten- und Rinderbrust. Satt sind wir definitiv geworden.
Setlist
Alone
Pictures of You
A Night Like This
Lovesong
And Nothing Is Forever
The Last Day of Summer
A Fragile Thing
Cold
Burn
The Hungry Ghost
At Night
Push
Play for Today
A Forest
Shake Dog Shake
From the Edge of the Deep Green Sea
Endsong
Encore:
I Can Never Say Goodbye
Plainsong
Prayers for Rain
Disintegration
Encore 2:
Lullaby
The Walk
Friday I’m in Love
Close to Me
In Between Days
Just Like Heaven
Boys Don’t Cry